Lelord, Francois
begreifen.
All das
passte nicht zu einem Edouard, der drei Millionen stahl - wie Hector zuerst
verstanden hatte -, aber nein, es ging sogar um dreihundert Millionen Dollar,
wie ihm Leutnant Ardanarinja eben erklärte, wobei sie ihre reizenden Brauen
missbilligend hob.
»Nach der
Zeit in Tibet hat Ihr Freund, wie Sie wissen, wieder bei einer Bank
gearbeitet.«
»Bei einer
asiatischen Bank, nicht wahr?«
»Nein, er
war für die Zweigstelle einer ausländischen Bank tätig.«
Und sie
nannte Hector den Namen der Bank, deren Hauptsitz sich auf einer jener
berühmten fernen Inseln befand, bei denen man sowohl an Kokospalmen am
Lagunenstrand als auch an friedlich schlummerndes Geld denkt. Ein Steuerparadies,
wie manche seiner Patienten sagten, ehe sie mit betrübter Miene hinzufügten, dass
es immer schwieriger werde, wirklich sichere zu finden. Hectors Mitleid hielt
sich in Grenzen, aber in der Psychiatrie und in der Medizin überhaupt ist es
ja so, dass man einen Eid geschworen hat, alle Patienten nach besten Kräften zu
behandeln, selbst die, die einem mächtig auf die Nerven gehen.
»Stehlen
...«, sagte Hector, »das sieht Edouard ganz und gar nicht ähnlich.«
»Wissen
Sie, so etwas bekomme ich in meinem Beruf sehr oft zu hören. Das sieht
ihm gar nicht ähnlich ... Glauben Sie, dass die Menschen
immer täten, was ihnen ähnlich sähe?«
»Im
Allgemeinen schon.«
»Aber
schauen Sie sich doch mal Ihren Freund an: Er war lange Zeit Banker und
Lebemann, wurde dann zum Menschenrechtsaktivisten bei den Eskimos und
schließlich buddhistischer Mönch. Übrigens scheint er sich in dieser letzten
Rolle hervorragend gemacht zu haben, die anderen Mönche schätzten ihn sehr.
Passt das alles vielleicht zusammen?«
Hector sagte
sich, dass Leutnant Ardanarinja schon verdammt gut informiert war über
Edouard. »Ja, in gewisser Weise passt das schon zusammen. In allen drei Rollen
lässt sich dieselbe Persönlichkeit wiederfinden. Aber nirgendwo sehe ich
Hinweise darauf, dass aus ihm ein Dieb werden könnte. Er verfolgt seine
Interessen, und ich glaube, dass er in Geschäftsdingen knallhart sein kann,
aber solange ich ihn kenne, hatte er auch immer ein Gewissen.«
»Manchmal
kommt den Leuten das Gewissen abhanden ...«
Hector spürte,
dass in Leutnant Ardanarinjas Stimme eine Spur Gefühl lag, eine winzige Spur
nur. Vielleicht hätte er es unter anderen Umständen gar nicht bemerkt, aber
wenn er so in seinem Psychiatersessel saß, weckte das in ihm Sinne, über die er
im Alltagsleben nicht immer verfügte. Es hatte ganz so geklungen, als wäre es für sie eine traurige Erinnerung, dass eine bestimmte
Person ihr Gewissen verloren hatte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass
diese brillante junge Frau zur Polizei gegangen war.
»Und bei
Ihnen beispielsweise, passte es zu Ihrer Persönlichkeit, dass Sie sich für die
polizeiliche Laufbahn entschieden haben?«
Leutnant
Ardanarinja musste lachen: »Also wirklich, ich glaube, mit den Psychiatern ist
es wie mit den Polizisten - der Beruf lässt einen niemals los.«
Hector verkniff
es sich, ihr zu sagen, dass er selbst schon ein wenig für die Polizei gearbeitet
hatte. So wie die Dinge lagen, wollte er zu Leutnant Ardanarinja keine Bindung
aufbauen; sie würde es sicher ausnutzen, um an Edouard heranzukommen, und das
wollte er selbstverständlich verhindern.
»Ich würde
Ihnen gern helfen«, sagte Hector, »aber die letzte E-Mail, die ich ihm
geschickt habe, ist wieder zurückgekommen. Die Mail-Adresse gab es nicht mehr.
Ich habe auch versucht, ihn anzurufen, aber die Nummer war nicht mehr gültig.
Sie können diese Dinge überprüfen, nehme ich an.«
»In der
Tat haben wir sie bereits überprüft.«
»Ist das
denn legal?«
»Dies ist
ein informelles Gespräch, und ich habe Ihnen natürlich nichts gesagt. Ich
möchte es uns und Ihnen doch bloß einfacher machen. Ich wollte lediglich
wissen, ob Sie seitdem irgendwie Kontakt zu Ihrem Freund hatten, irgendwelche
Neuigkeiten von ihm.«
»Nein,
nichts, kein Lebenszeichen.«
»Wirklich
nicht?«
»Ich
versichere es Ihnen«, sagte Hector.
Leutnant
Ardanarinja schwieg einen Augenblick.
»Ich
glaube Ihnen fast, dass Sie die Wahrheit sagen ... und doch, ich weiß selbst
nicht, warum, habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich mich täusche.«
»Dafür
kann ich nichts.«
»Ich
glaube, dass Sie dank Ihrem Beruf Ihre nonverbalen Botschaften gut unter
Kontrolle haben. Hätte ich Sie auf Video aufgenommen und den Film dann
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