Lelord, Francois
seinem Beruf erlebte er, wie sich diese traurige Geschichte
immerzu wiederholte - und mit Clara sollte es ihm auf keinen Fall so ergehen!
Am Ende
dieses anstrengenden Tages lag Hector neben Clara im Bett. Sie hatten noch
keine Zeit gehabt, miteinander zu reden, denn Clara hatte zu einem Abendessen
mit Kollegen gehen müssen, von denen zwei immerhin ihre Freunde waren.
Hector war
schon schläfrig, aber Clara machte noch einen sehr munteren Eindruck; sie las
in einem Buch. Als Hector ihr über die Schulter guckte, sah er, dass es vom
Leben eines gewissen Gautama Shakyamuni handelte.
»Wer ist
denn dieser illustre Unbekannte?«, wollte Hector wissen.
»Buddha.«
»Ah,
verdammt!«, sagte Hector.
Und er
dachte, dass er es wirklich gut getroffen hatte mit einer so wunderbaren Frau,
die zu alledem noch ein Buch über Buddha las.
Hector fand,
dass sich sein Leben (oder er selbst) ziemlich verändert hatte. Noch vor
einigen Jahren hätte er sich sofort bereitwillig auf die Suche nach Edouard
gemacht, wie er damals überhaupt gern zu allen möglichen Reisen aufgebrochen
war - und erst recht, wenn er das Gefühl hatte, nützlich sein zu können.
Aber jetzt
sah es anders aus. Jeden Abend kehrte er in ein Haus zurück, wo eine Frau und
ein kleiner Junge auf ihn warteten. Er hatte ganz einfach keine Lust,
wegzufahren und sie allein zu lassen. Und noch viel weniger mochte er sie beunruhigen,
indem er sich auf die Suche nach einem leicht verrückten Freund machte, dem
Interpol auf den Fersen war.
Und warum
sollte er überhaupt abreisen? Edouard war schließlich schlau genug, um allein
zurechtzukommen. Hatte er nicht geschrieben, Hector solle sich keine Sorgen um
ihn machen? Letzten Endes gab es überhaupt keinen Grund, sich auf die Suche
nach Edouard zu begeben. Edouard hatte Hector lediglich gebeten, ihm zu
vertrauen und auf ihn zu warten, und nicht etwa, seine Termine mit den
Patienten abzusagen oder gar Petit Hector und Clara allein zu lassen.
Wie
einfach es war, sich selbst etwas einzureden, dachte Hector.
Aber da
fiel ihm Leutnant Ardanarinjas Lächeln wieder ein das Lächeln eines schönen
Pantherweibchens -, und Edouards fiebriger Blick auf dem Foto und die seltsam
fromme Verehrung, die ihm die jungen Leute entgegenzubringen schienen, und
dann war da noch dieser Satz - Jenes Feuer vor mir ist erloschen -, und plötzlich hatte Hector das Gefühl, eine Katastrophe stehe
unmittelbar bevor. Gleichzeitig hatte ein Teil seines Geistes zu arbeiten
begonnen: Zu welcher ethnischen Minderheit mochten die jungen Leute gehören?
Diese weißen Tuniken der unverheirateten jungen Mädchen riefen eine vage
Erinnerung in ihm wach - aber war es ein persönliches Erlebnis gewesen, eine
Lektüre, eine alte Fotografie? Es musste sich um eine der zahlreichen
Minderheiten in Südostasien handeln, eine wie diejenige, bei denen die Lady in
Kürze ihre Dreharbeiten absolvieren würde. Sollte das nur ein zufälliges
Zusammentreffen sein? Selbstverständlich gab es keinerlei Verbindung zwischen
Edouard und der Lady, aber andererseits rückten bestimmte Weltgegenden
plötzlich mehr ins Blickfeld als andere, und Menschen mit sehr empfindlichen
Antennen, also beispielsweise Edouard oder die Produzenten eines Films oder die
Lady, fanden sich mit untrüglichem Instinkt früher dort ein als die übrige
Menschheit. Und in diesen Gegenden konnte man ebenso gut die romantische
Kulisse für einen neuen Film finden wie ein sicheres Versteck vor jeder Polizei
dieser Welt.
Plötzlich
fragte ihn Clara: »Woran denkst du gerade?«
»Ach, an
nichts Besonderes.«
»Ich frage
mich trotzdem, was du ...«
»Und
Buddha, was empfiehlt der uns, damit wir glücklich werden?«
»In aller Kürze? Er sagt, Leben sei Leiden.«
»Nicht schlecht erkannt. Und weiter?«
»Er sagt, alles Leiden komme von den Begierden.«
»Und was sollen wir also tun?«
»Um nicht
mehr zu leiden, muss man sich von allen Begierden und Bindungen befreien.«
»Auch von
den Menschen, die man liebt?«
»So
ähnlich - man liebt sie immer noch, aber so, wie man alles Übrige liebt, denn
unser Mitgefühl muss die ganze Welt umspannen - alle Menschen und sogar die
Tiere.«
»Und daher
sollst du sogar deine Feinde lieben.«
»Genau.«
»Das
erinnert mich an die Worte des Joshua ben Jussuf«, sagte Hector.
»Wer soll
denn das sein?«
»Na,
Jesus!«
Hector war
ziemlich zufrieden mit sich.
»Und
willst du noch lange weiterlesen?«, fragte er.
»Nein, ich
bin müde.«
Clara
legte das
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