Lelord, Francois
Befragung?«
Leutnant
Ardanarinja lächelte: »Im Grunde ja. Wir haben gedacht, dass es schneller und
praktischer wäre, zu Ihnen in die Praxis zu kommen, als Sie in unsere Büros zu
bestellen. Wir haben gedacht, es wäre vielleicht nicht notwendig ...«
Hector begriff,
dass es notwendig werden könnte, falls er sich nicht kooperativ verhielt. Wie
weit musste man gehen, um einem Freund zu helfen? War man verpflichtet, Termine abzusagen oder sich gar in Polizeigewahrsam nehmen zu lassen?
Allerdings wusste Hector über Edouard sowieso nichts, was versteckt zu werden
verdiente.
»Hören
Sie, das letzte Mal habe ich Edouard in einem Kloster nicht weit von Tibet
gesehen. Damals wollte er sich dorthin zurückziehen.«
»Darüber
sind wir auf dem Laufenden.«
»Später
hat er das Kloster verlassen und wieder für eine Bank zu arbeiten begonnen.
Aber wir haben uns seither nicht gesehen, sondern nur ein paar E-Mails
ausgetauscht.«
»Könnten
Sie diese E-Mails an mich weiterleiten?«
»Ich weiß
nicht ...Verstehen Sie, es sind persönliche Nachrichten. Es geht darin viel um
sein Lieblingsthema, die Frauen ...« Und bei diesen Worten lächelte Hector Leutnant
Ardanarinja zum ersten Mal an.
»Ich
glaube nicht, dass mich das erschrecken kann«, entgegnete sie und lächelte
ihrerseits.
»Vielleicht
sagen Sie mir erst einmal, weshalb Sie sich überhaupt für meinen Freund
Edouard interessieren?«
Leutnant
Ardanarinja setzte mit einer anmutigen Bewegung die Füße wieder unter den
Stuhl. Ihr perfektes Englisch hatte sie wahrscheinlich an einer guten
britischen Universität gelernt, an der sie vielleicht gleichzeitig auch
Benimmkurse besucht hatte.
»Eigentlich
sollte ich Ihnen das nicht sagen«, meinte sie. »Ach so? Und ich, sollte ich
ohne meinen Anwalt mit Ihnen sprechen?«
Leutnant
Ardanarinja lächelte, als hätte Hector etwas ganz besonders Witziges gesagt.
»Wenn wir
Sie vorladen würden, könnten Sie natürlich die Anwesenheit eines Rechtsanwalts
verlangen ... jedenfalls nach vierundzwanzig Stunden ...«
Schöner
hätte man es nicht sagen können, dachte Hector.
«... aber
im Geiste des gegenseitigen Einvernehmens und vor allem, um die Prozedur
abzukürzen, werde ich es Ihnen trotzdem sagen.«
Währenddessen
hatte Hector sich die ganze Zeit gefragt, weshalb sich Interpol für seinen
alten Freund interessieren könnte. Ja, Edouard war immer ein bisschen extrem
gewesen, er hatte so seine Schwächen - er trank gerne guten Wein, liebte es,
die Frauen zum Lachen zu bringen, er hatte einen unstillbaren Hunger auf Neues
in allen Bereichen, und seine Intelligenz war ebenso beeindruckend wie seine
Sprachbegabung, die er vor allem nach Einbruch der Dunkelheit einsetzte. Aber
in alledem sah Hector nichts, was aus Edouard einen Fall für die Justiz hätte
machen können, Edouard mit seiner Großzügigkeit, seiner lustigen Art, seinen
schönen rosigen Wangen und seinem etwas kindlichen Blick - alles Dinge, die
seit Schulzeiten unverändert an ihm waren. Was also konnte er angestellt haben,
um zum Tatverdächtigen zu werden?
»Ihr
Kumpel hat einen tüchtigen Batzen Kohle geklaut«, sagte Leutnant Ardanarinja,
die offensichtlich auf mehreren Stilebenen zu Hause war.
Hector fuhr
zusammen. Er hatte die vage Vorahnung, dass seine Beobachtung
Nr. 1 - Deine Freundschaften sind deine Gesundheit - für ihn
künftig nicht mehr so ganz zutreffen könnte.
Hector gerät aufs Glatteis
Hector musste daran denken, wie Edouard ihm eines Tages in
einem Café in Hongkong die Telefonnummer einer Frau gegeben hatte, in die sich Hector
verliebt hatte, ohne dass er es sich hatte eingestehen wollen. Danach war
Edouard in sein Büro zurückgekehrt, um sich weiter jenem Dollarmillionenbetrag
anzunähern, den er auf seinem Konto anhäufen wollte, um nie mehr arbeiten zu
müssen.
Hector musste
auch daran denken, wie Edouard ihn in der Polarnacht eines der letzten
traditionellen Eskimodörfer begrüßt hatte. Er lebte dort seit einigen Monaten,
um den Eskimos beizubringen, wie man Handel betreibt, ohne sich ausbeuten zu
lassen. Auch ohne die geplanten Dollarmillionen hatte er aufgehört, den Reichen
zu dienen, denn nun wollte er den Armen helfen, ein bisschen weniger arm zu
sein.
Hector musste
daran denken, wie Edouard ihm vor der Kulisse der höchsten Berge der Welt
gesagt hatte, dass er nicht mit ihm zurückkehre, sondern in diesem
abgeschiedenen Kloster bleiben wolle, um den Sinn des Lebens und die Worte des
Buddha besser zu
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