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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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hat sich Lehner endlich abgewandt. Mit hängenden Schultern ist er davongeschlurft und im Dunkel der Nacht verschwunden.
     
    «Warum wirklich ich? Warum nicht er?», fragt der Lemming jetzt noch einmal.
    «Glauben S’ ’leicht, ich lass mir das entgehen, wenn Sie die Büchse der Pandora öffnen?»
    Ein kleiner Spaziergang rund um den Häuserblock hat die beiden Männer wieder an den Punkt zurückgeführt, an dem die Grünentorgasse in die Hahngasse mündet. Sie verlangsamen nun ihre Schritte, während sie wachsam um sich spähen. Immerhin ist es möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, dass sich Frank Lehner nach wie vor in der Nähe befindet. Dass er durch die Gegend geistert wie ein ausgesperrtes Schlossgespenst, das seine Schlüssel verloren hat. Aber die Straßen sind menschenleer; der Zwischenkriegsmann ist nirgends zu sehen.
    «Da ist sie entlanggelaufen», raunt der Lemming. «Mit dem Rollstuhl.»
    «Und weiter?»
    «Nach links um die Ecke ist sie gebogen. In die Hahngasse.»
    «Gut, worauf warten wir? Fangen wir an.»
    Vorne in der Hosentasche stecken sie, die drei Objekte der Begierde: die Schlüssel zu Pandoras Box. Der Lemming zieht sie heraus und geht auf das nächstgelegene Haustor zu. Behutsam versucht er, den ersten Schlüssel ins Schloss zu schieben.
    «Obacht!», zischt Polivka in seinem Rücken. «Nicht dass er abbricht!»
    «Ich bitt Sie», erwidert der Lemming. «Halten S’ mich wirklich für derartig patschert?»
    Er greift jetzt zum zweiten. Zum dritten. Vergeblich: Keiner der Schlüssel will passen.
    «Kommen Sie, schauen wir ein Häuserl weiter   …»
    Sie queren die Fahrbahn, probieren es beim Haus gegenüber. Doch abermals ohne Erfolg. Also gehen sie zurück, um das nächste Gebäude in Angriff zu nehmen.
    Vier Schlösser, drei Schlüssel, zwei Männer, ein Ziel. Und kein Resultat.
    Beim fünften Türschloss jedoch stößt der Lemming ein leises «Heureka!» aus. Mit einem satten Knacken rastet der erste Schlüssel ein.
    Es ist finster hinter der Pforte des alten, heruntergekommenen Hauses. Nur rechts an der Wand flackert rötlich ein Schalter. Als ihn Polivka betätigt, flammt das Minutenlicht auf und gibt den Blick auf eine langgezogene, schmucklose Eingangshalle frei, an deren Seiten sich jeweils zwei Türen befinden. Am vorderen Ende des Foyers sind zwei halbkreisförmig geschwungene Treppen zu erkennen: eine, die in die darüberliegenden Stockwerke führt, eine andere, auf der man offenbar in den Keller gelangt. Im Treppenschacht selbst herrscht gähnende Leere: Aufzug wurde hier noch keiner eingebaut.
    «Den Keller können wir vergessen», raunt der Lemming.
    «Ohne Lift, mit einem Rollstuhl   …»
    «Stimmt», gibt Polivka zurück.
    Und so macht sich der Lemming daran, die schon geübte Prozedur bei den vier Seitentüren zu wiederholen. Dies nun jedoch mit gewissen Erschwernissen, als handelte es sich hier um ein Computerspiel, bei dem ein neu erreichter Level noch gemeinere Schikanen, noch infamere Fallen verspricht. Zwar lässt sich schon das erste der vier Schlösser ohne Mühe sperren, aber mit demselben Schlüssel, der auch schon das Haustor geöffnet hat. Der Lemming und Polivka finden sich inGesellschaft der Mülltonnen wieder, zusammengedrängelt und fluchend.
    Vier Schlösser, drei Schlüssel, zwei Männer, ein Ziel.
    Wie immer ist es die letzte der Türen, die in den nächsten Level führt. Nachdem sie der Lemming – abermals mit dem Haustorschlüssel – entriegelt hat, tritt er mit Polivka in einen schmalen, nur vom spärlichen Schimmer der Gangbeleuchtung erhellten Lichthof hinaus, über den sich ein wellblechartig onduliertes Dach aus Plexiglas zieht. In früheren Zeiten wohl durchsichtig, ist der Kunststoff jetzt über und über mit Taubenkot bedeckt: Dass aus einigen der darüberliegenden Fenster Licht fällt, ist mehr zu erahnen als wirklich zu sehen.
    «Da», sagt Polivka jetzt. Er deutet nach rechts, wo in die grob verputzte Mauer eine glatte Fläche eingelassen ist: ein breites Geviert aus Metall, das sich bald schon als weiterer Durchgang entpuppt. Obwohl das Türblatt weder mit Knauf noch mit Klinke versehen ist, kann der Lemming eine tropfenförmige Wölbung ertasten, ein kleines Scharnier, eine Stahlkappe, hinter der sich das nächste Schloss befindet.
    Der zweite von Angelas Schlüsseln passt. Er gleitet sanft in den Zylinder, öffnet mit leisem Knirschen die Pforte, die der Lemming nun vorsichtig aufdrückt.
    Jenseits der Tür herrscht vollkommene

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