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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Immerhin wohnen Sie auch dort, Herr Wallisch   …»
    «Habe gewohnt. Der Gartner hat mich rausgeschmissen.»
    «Glückwunsch.» Lehner setzt sich in Bewegung. «Kommen Sie!», ruft er dem Lemming über die Schulter zu. «Wir wollen uns bei ihm bedanken!»
     
    Da ist er ja endlich, der Donauwalzer, der zu Wien gehört wie der Darmwind zum Rind. Und so klingt er auch jetzt – mehr nach Kuh als nach Strauß: ein schnarrendes, gepresstes Furzgeräusch, das durch den U-Bahn -Wagen hallt. Dabei böte der schwarze, mit silbernen Herzchen versehene Schultersack, dem es entstammt, wohl Platz für ein ganzes Orchester – ein Liliputanerorchester zumindest. So wie auch die Frau, die jetzt ihr Handy aus der Tasche wühlt, ein durchaus konzertsaalfüllendes Organ besitzt – wenn schon nicht dem Klang, so doch dem Volumen nach.
    «Was denn, Bärli?   … In der U-Bahn !   … Nein, nix Pflaster, eine Salben! Weil die haben mir g’sagt, dass gegen Hühneraugen   … Aber in der Apotheken haben sie   … Musst halt fleißig schmieren! Mit denen Pflastern kriegst die Warzen nie heraus, haben s’ g’sagt! Und hobeln!   … Nein, die Mama hat eh so ein Dings, glaub ich, so einen Hornhauthobel!   … Was? Na, Rindsrouladen, hab ich ’glaubt!   … Jetzt hab ich’s aber schon ’kauft!   … Geh, Bärli, Schweinsbratl haben wir doch gestern   …»
    Verblüffend, wie sich eine nie gesehene, nie gehörte Personalleine dadurch materialisieren kann, dass eine andere mit ihr telefoniert. Ein Phänomen, das im Prinzip an Platons Höhlengleichnis gemahnt (und was ist eine U-Bahn schon anderes als eine von minderbemittelten Menschen bevölkerte Schattenwelt?). Bärli trägt ein ärmelloses Netzhemd, da ist sich der Lemming ganz sicher. Und Slips, keine Boxershorts. Bärli ist über und über behaart; nur am Zenit seines Schädels hat sich bereits eine Lichtung gebildet – ein denkbar ungeeigneter Landeplatz für Außerirdische, sofern sie nach intelligentem Leben suchen.
    Kaum hat sich Bärli in der Phantasie des Lemming breitgemacht, beginnt er sich schon zu verändern: Das schüttere Haupthaar ergraut, die dicken, feuchten Lippen bilden sich zurück, die Unterwäsche verblasst, um gleich darauf als zerknitterter Trenchcoat wiederzuerstehen. Als die Mutation vollzogen ist, sitzt ein anderer Trottel auf Bärlis kunstlederner Fernsehcouch. Ein Trottel mit Vollbart und randloser Brille: Bezirksinspektor Polivka.
    Da ist sie, die Lösung. Die wahrscheinlich einzige Möglichkeit, Lehner Paroli zu bieten, ihn an einer Tat zu hindern, von der ihn schon Angela abhalten wollte, an einer Bluttat, die er wohl irgendwann selbst bereuen würde. Weil Rache ein schlechtes Geschäft ist: Sie tötet die Zukunft, ohne die Vergangenheit zu heilen.
    Schon zieht der Lemming sein Handy heraus.
    «Wen rufen Sie an?» Scharf ist der Ruf Frank Lehners, so scharf, dass er selbst die Stimme der Frau übertönt, die nach wie vor mit Bärli übers Abendessen diskutiert.
    «Nur meine Liebste. Sie macht sich sonst Sorgen.»
    «In Ordnung, aber   … Kein Wort! Verstehen Sie, Herr Wallisch? Kein Wort über unsere   … Expedition!»
    Der Lemming tippt nun also eine altbekannte Nummer in die Tastatur. Frank Lehner indessen rückt näher heran. Lehner lauscht mit.
    «Sicherheitsbüro, Lodinsky!»
    «Grüß Sie», sagt der Lemming. «Geben S’ mir bitte die Frau   … Polivka! Wir sind nicht verheiratet», fügt er, an Lehner gewandt, hinzu.
    «Was haben S’ g’sagt? Wen wollen S’?»
    «Po-liv-ka!», skandiert der Lemming.
    «Augenblick!»
    Wie gut, dass Lodinsky kein Watzka ist. Kaum zwei Sekunden später dringt eine heisere, schläfrige Stimme aus dem Hörer:
    «Polivka.»
    «Servus, Schatzi. Ich bin’s, der Poldi   …»
    «Wie bitte?»
    «Natürlich, die Zeit. Ja, ich weiß. Aber was soll ich machen, wir haben   …»
    «Verwählt haben Sie sich», brummt Polivka jetzt. «Aber völlig verwählt.» Ein leises Rascheln: Der Bezirksinspektor macht sich daran, aufzulegen.
    «Nein!», brüllt der Lemming. «Nein! Jetzt hören
Sie
mir einmal zu, Frau
Polivka
! Ich mach das hier nicht zum Vergnügen ! Immerhin geht’s um unsere tote Freundin, um die
Angela
! Da kann ich mich nicht alle zehn Minuten bei dir melden!»
    Schweigen im Hörer. Verhaltenes Atmen. Polivka scheint es sich noch einmal überlegt zu haben.
    «Schluss jetzt!», schimpft der Lemming weiter. «Unterwegs bin ich, mit dem Herrn
Lehner
! Du willst wissen, wohin?» Ein Ruck. Frank

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