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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Finsternis. Eine Finsternis, die förmlich aus sich selbst herausquillt, um sich über die zwei Männer zu ergießen. Oder auch, um sie in sich hineinzusaugen, sie zu absorbieren wie eines dieser ominösen schwarzen Löcher, die es ja angeblich nicht nur im Weltall gibt (auch in einem unterirdischen Schweizer Versuchslabor soll man sich neuerdings darum bemühen, sie herzustellen. Als müsse ein Land, das für Käse berühmt ist, auch aussehen wie Käse).
    Es ist Polivka, der sich jetzt dazu anschickt, das Loch zu betreten. Aber ehe er noch in die Finsternis eintauchen kann, hält ihn der Lemming zurück.
    «Warten Sie.» Er greift in seinen Mantel und nestelt die Taschenlampe hervor, die er am Nachmittag in Ottakring gekauft hat.
    «Alle Achtung, Herr Wallisch», brummt Polivka anerkennend.
    «Sie sind ja ein knallharter Profi.»
    Der Lichtkegel wandert durchs Dunkel, verliert sich nach wenigen Metern im Nichts. Tiefseeatmosphäre, denkt der Lemming. Planktonreich, nebelhaft, staubdurchflirrt. Erst als er die Lampe schräg nach unten richtet, lässt sich etwas erkennen: eine aus Holzbohlen gezimmerte Rampe, die – von der Türschwelle weg – in sanftem Bogen in die Tiefe führt.
    «Also doch Keller», murmelt der Lemming. «Bereit?»
    Ein Nicken. Ein Grunzen. Offenbar Polivkas Art, Begeisterung zu signalisieren.
    Sie tasten sich vorwärts, schleichen mit kleinen Schritten die Rampe hinab, als plötzlich ein Sirren die Stille zerreißt. Schon flackern Neonröhren auf und hüllen die Männer in kaltes, flimmerndes Licht.
    «Bewegungsmelder», sagt Polivka. «Praktisch, wenn man keine Hand frei hat.»
    «Weil man gerade einen Rollstuhl schiebt», ergänzt der Lemming.
    Knapp drei Meter tiefer endet die Rampe auf ebenem Boden. Nur wenige Schritte entfernt, an der rechten Seite des würfelförmigen Raums, der wohl einmal als Lager gedient haben muss, öffnet sich ein Durchlass in der grauen Wand. Dahinter ein schmaler, aus Ziegeln gemauerter Korridor, an beiden Seiten mit morschen Brettertüren versehen. Hier ist die Beleuchtung um einiges düsterer: Nur eine Reihe vergitterter Kellerlampen erhellt den Gang. Es riecht muffig und feucht. Nach Verwesung.
    Der Lemming geht nun schneller; zügig eilt er voran, ohne die seitlichen Bretterverschläge auch nur zu beachten.
    «Wohin?», zischt Polivka, der mit ihm Schritt zu halten versucht.Doch erst am Ende des Flurs bekommt er die Antwort. Eine Antwort in Form einer wuchtigen, eisernen Tür, die bis ins Letzte jener aus dem Lichthof gleicht.
    «Das muss es sein.» Ein weiteres Mal zückt der Lemming den Schlüsselbund. Tastet nach dem Scharnier, hinter dem sich das Schloss verbirgt, schiebt es mit einem Finger zur Seite.
    «Geben S’ mir die.» Polivka greift nach der Taschenlampe, richtet ihren Strahl auf den Zylinder. «Neues Spiel, Herr Wallisch, neues Glück   …»
    Das Spiel ist alt, das Glück schon fast vorhersehbar: Es ist wieder der zweite Schlüssel, der passt. Der Lemming atmet durch. Ein kurzer Blick zu Polivka, dann drückt er gegen das kühle Metall.
    So lang der Weg hierher war, so kurz ist der Zieleinlauf: gedrängte, komprimierte Zeit, mit gespannten Sinnen durchlebt. Zunächst lässt sich ein leichter Widerstand des Türblatts spüren: wie ein Saugnapf, den man von der Wand entfernt. Oder besser: wie der Deckel eines Einmachglases, das man öffnen will. Mit einem Wort, ein Gummidichtungsgefühl. Unmittelbar darauf ertönt ein leises Schmatzen, als sich die gummierten Lippen voneinander lösen.
    Langsam schwingt die Tür zurück.
     
    Es wäre die reinste Idylle.
    Mildes Licht, das über Wandbehänge streicht und auf den rötlichen Möbeln schimmert. Der Boden mit flauschigen, stilvoll gemusterten Teppichen ausgelegt. Ein wuchtiges Bücherregal, davor – im Schein einer Stehlampe – ein breiter Ohrensessel. Etwas abseits, zur Hälfte von einer spanischen Wand verdeckt, ein Bett, über das sich ein seidener, purpurner Himmel spannt.
    Trautes Heim, lauschig und weich. Ein großes und warmes, behagliches Nest. Und trotzdem mit all jenem technischen Luxus versehen, der dem modernen, kultivierten Menschenja erst seine Würde verleiht. Wobei er sich unaufdringlich im Hintergrund hält, dieser Luxus: Auf den zweiten Blick erst lässt sich ein mächtiger Flachbildschirm erkennen, der sich dunkel und matt in den Aufsatz einer archaischen Anrichte schmiegt. Im geöffneten unteren Teil der Kredenz blinken die Lämpchen einer Stereoanlage. Schräg vis-a-vis steht

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