Lena Christ - die Glueckssucherin
einen abgelegenen Platz verbannen sollte. In Evita Bauers Film erklärt sie, so schlimm sei das Vergehen Lena Christs nicht gewesen, dass sie dafür hätte sterben müssen. Sie hatte kein Verständnis dafür, dass es niemanden gab, der ihr Alternativen zeigte und ihr beistand.
Wenige Wochen nach Lenas Tod besuchte Jerusalem Annette Thoma und erzählte ihr, was geschehen war. Die engste Freundin der Verstorbenen war damals schon von der »makabren Objektivität« seines Berichts erschüttert und brach den Kontakt mit ihm ab. Die Lektüre seines Buches zwanzig Jahre später bestätigte ihr die Richtigkeit dieser Entscheidung.
Asta Scheib stellt die materiellen Vorteile in den Vordergrund, in deren Genuss Peter Jerusalem nach Lena Christs Tod gelangte. Sie hat die Korrespondenz ausgewertet, die er mit Verlagen, Sendern, Buchhändlern und Privatpersonen geführt hat. Bis zu seinem Tod im Jahr 1954 wurde er nicht müde, immer wieder seinen Anteil am literarischen Werk seiner Frau herauszustellen. »Gebetsmühlenhaft«, so Asta Scheib, habe er vierunddreißig Jahre lang betont, dass es ohne ihn die Dichterin Lena Christ nie gegeben hätte. Den beiden Töchtern gegenüber gerierte er sich als »alleiniger Bevollmächtigter« ihrer Mutter und fällte alle Entscheidungen allein, die ihr Werk betrafen. Zehn Jahre nach Lena Christs Tod beantragte ihre jüngere Tochter Alixl beim Amtsgericht eine Abschrift des Testaments mit der Begründung: »Auseinandersetzung mit dem zweiten Ehegatten der Verstorbenen«.
Jerusalem teilte die Honorare sehr willkürlich, wie aus einem Brief vom 4. November 1948 an die ältere Tochter Magdalena hervorgeht. Darin erklärt er, dass er ihr den Betrag, der ihr zustehe, in drei Raten schicken werde, da es ihm aufgrund seiner eigenen finanziellen Misere anders nicht möglich sei. »Schließlich musst Du Dir ja sagen, dass es ohne mich nie eine Lena Christ gegeben hätte, sondern Deine Mutter rund zehn Jahre vor ihrem Tode schon ein ähnliches Schicksal erlitten hätte wie das, was sie ihr Leben beenden ließ«, gibt er ihr zu bedenken. Diese Infamie wurde noch übertroffen durch die Behauptung, als Frau Leix hätte sie sicher nur Schulden hinterlassen, sowie durch das kalkulierte Vorenthalten von Wissen, mit dem er manipulieren und drohen konnte: »Du würdest das umso mehr einsehen, wenn Du alles wüsstest.« Auch Bekannten und Freunden gegenüber erging er sich in Andeutungen über Verfehlungen Lena Christs, die weit schlimmer gewesen seien als die Fälschungen und die er großmütig gedeckt habe. Er spricht in einem Brief an Hans Ludwig Held von »ausgesprochen Kriminellem bezüglich der vor meiner Begegnung liegenden Lebensführung der Lena Christ« und rühmt sich, es gewagt zu haben, »mit einer in jeder Beziehung so schwer belasteten Persönlichkeit eine nähere Verbindung einzugehen«. Der Grund dafür sei allein die Faszination gewesen, die ihre Erzählkunst bei ihm ausgelöst habe.
Was seine Handlungs- und Darstellungsweise unerträglich macht, sind nicht nur die Fakten, sondern seine Haltung. Im Zuge ihres Zusammenlebens ist aus dem verantwortungsbewussten Beobachter, dessen Verdienst es war, Lena Christs Begabung entdeckt und gefördert zu haben, ein Voyeur geworden, dessen Kälte und Beziehungsunfähigkeit abstoßen. Die treffendste Charakteristik seines Verhaltens liefert er selbst: »So kann also ein Mensch zu Zeiten über sich hinauswachsen, aus Liebe, dachte ich, und tief unter sich hinuntersinken aus Hass. Viel tiefer als je ein Tier geraten kann. Seltsam sind wir und rätselhaft, denn solche Liebe und solcher Hass haben oft in einer Brust nebeneinander Platz. Gott und Teufel wohnen so nah beieinander.« Diesen von ihm allerdings auf Lena Christ bezogenen Worten ist nichts hinzuzufügen. Die Tragik – vor allem für ihn selbst – bestand darin, dass sein Hass schließlich größer war als seine Liebe, sodass er keinen Versuch unternahm, Lena Christ von ihrem Weg in den Tod abzubringen. Aber vielleicht kann man einen Menschen ja nur einmal retten …
Vier Jahre nach Lena Christs Tod heiratete Peter Jerusalem die Musiklehrerin Sascha Kraus. Sie lebten in Irschenhausen bei München, wo er am 6. März 1954 starb. Seine Witwe beging ein halbes Jahr später Suizid. Nach Der Weg der Lena Christ hatte er in den 1940er-Jahren unter dem Namen Peter Benedix noch zwei Romane publiziert: Auf der Landstraße. Aus dem Leben eines Fahrenden und Der neugierige Engel .
Lena Christ hat sich
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