Lena - einfach raus und leben
Siegesparty. Mit der deutschen Delegation traf sie nach zwei Uhr am Sonntagmorgen im Hotel Radisson Blu Plaza ein, in dem viele Künstler und ihre Entourage die vergangenen ein bis zwei Wochen verbracht hatten. Kurz darauf wurde Sir Cliff Richards inzwischen legendärer Grand-Prix-Titel »Congratulations«, der 1968 auf Rang 2 gekommen war, gespielt, ebenfalls der Siegertitel »Satellite«. Danach war Lena schon wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Andere Künstler blieben länger und freuten sich über ihre Platzierungen. Der Grieche Giorgos Alkaios etwa, seit bald zwei Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Sänger seines Landes, der mit seinem Beitrag in Oslo Rang 8 belegt hatte, wurde natürlich auch auf Lena angesprochen. »Ich habe von Anfang an behauptet, dass sie unter die ersten drei kommt«, meinte er. Der Türke Ferman Akgül von der zweitplatzierten Rockband maNga zeigte sich in jener Nacht ebenfalls großzügig: »Das Lied ist toll, Lena hat den Sieg verdient«, freute er sich.
Lena feierte in dieser Nacht natürlich trotzdem, wenn auch nicht im großen Kreis. Mehr als zweieinhalb Stunden Schlaf habe sie nicht bekommen, erklärte sie am Sonntagnachmittag den Medien. Könnte hinkommen, denn am Sonntagmittag kam sie verspätet am Osloer Flughafen an - weil die Crew nicht ohne sie fliegen wollte, startete ihr Flieger ebenfalls verspätet in Richtung Hannover. Tausende Fans warteten dort auf sie. »Das ist krass, ihr seid ja verrückt. Es regnet, geht doch rein«, rief sie den Wartenden nach der Landung durch ein Megafon zu. Lena Meyer-Landrut war wieder zu Hause angekommen. Jetzt aber war sie die Lena eines ganzen Landes.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte mit den Worten: »Lena hat mit ihrer Natürlichkeit und Herzlichkeit sehr beeindruckt. Sie ist ein wunderbarer Ausdruck des jungen Deutschlands.« Bundesaußenminister und Vize-Kanzler Guido Westerwelle war ebenfalls
voll des Lobes für die junge Dame aus Hannover: »Mit ihrem mitreißenden Auftritt hat sie ganz Deutschland begeistert«, schwärmte er. »Sie hat sich in die Herzen Europas gesungen. Ob gewollt oder nicht, sie ist eine Botschafterin für unser Land, die in einer Nacht so manches althergebrachte Vorurteil sympathisch widerlegt hat.« Und der vielfach ausgezeichnete Komponist und Musiker Klaus Doldinger begeisterte sich: »Lena hat den Triumph verdient. Ihr Song war anders, ihre Performance beachtlich, fehlerfrei - geradezu perfekt. Ich freue mich sehr, dass das Publikum für diese talentierte, erfrischend natürliche junge Frau gestimmt hat.«
Was die Einschaltquoten im deutschen Fernsehen anging, hatte selbst »König Fußball« keine Chance gegen Lena: Knapp 15 Millionen Menschen schauten sich den Sieg der 19-Jährigen live auf den heimischen Bildschirmen an. Dies entsprach einem Marktanteil von 49,1 Prozent, in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen sogar von 63,6 Prozent. Damit verwies Lena das am selben Abend stattfindende Länderspiel Deutschland gegen Ungarn im ZDF, bei dem 7,21 Millionen Menschen zuschauten, klar auf die Plätze.
Die junge Hannoveranerin hatte letztlich auch mehr Zuschauer als Nicole beim bis dahin einzigen deutschen Grand-Prix-Sieg 1982. Die hohen Einschaltquoten werteten die ARD-Verantwortlichen als Bestätigung ihres Konzepts, Deutschlands Kandidaten für den Eurovision Song Contest in einer Castingshow von den Zuschauern
bestimmen zu lassen. Beim enttäuschenden Abschneiden des lediglich von einer Jury ausgewählten Duos Alex Sings Oscar Swings! vom Vorjahr hatten lediglich halb so viele Zuschauer den Contest vor den Bildschirmen verfolgt.
Selbst wenn manchen Menschen hierzulande der Lena-Hype vielleicht zu viel wurde oder sie ihn nicht nachvollziehen konnten, ist es der 19-jährigen Abiturientin doch gelungen, die meisten Leute mit ihrem Erfolg beim Eurovision Song Contest 2010 zu begeistern. Angesichts des überwältigenden Sieges und des deutlichen Vorsprungs von »Satellite« beschwerten sich zwar einige kritische Stimmen im Ausland über die neue Regelung, wonach die landeseigenen Jurys zu viel Einfluss - nämlich 50 Prozent - auf die Abstimmung gehabt hätten. Das hätte zu Verzerrungen geführt. Doch eine Aufsplittung der Ergebnisse spricht eine andere Sprache.
Zwar konnte Lena die meisten Jurys überzeugen. Dennoch waren es in erster Linie die Fans kraft ihrer 50 Prozent Mitspracherecht, die Lena den Sieg bescherten. Das Beispiel Rumänien steht dafür
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