Lena - einfach raus und leben
»Klar«, meinte sie, »Abitur ist immer wichtig. Aber warum fragen Sie mich denn ausgerechnet jetzt nach diesem Thema? Jetzt zählt doch mein Sieg!«
Stefan Raab plante in der Siegernacht bereits laut denkend die Zukunft seines Schützlings: »Ich denke, die Siegerin sollte im nächsten Jahr im eigenen Land ihren Titel verteidigen«, meinte der Kölner. Und fügte hinzu: »Das heißt, wenn du mitmachst, Lena.« Kein Zögern, kein Zaudern: »Ich wäre dabei«, war die reaktionsschnelle Antwort des Teenagers. Für noch einen Titelsieg? »Wenn
es darauf ankommt, dann bin ich da«, war die so kurze wie eindeutige Erwiderung.
Schon vor ihrem Auftritt am Abend des inzwischen legendären 29. Mai 2010 hatte Lena bewiesen, wie souverän sie ist. Locker plauderte sie unmittelbar vor dem Finale live aus Oslo vor laufender Kamera via ARD mit dem Moderatoren-Duo Sabine Heinrich und Matthias Opdenhövel auf der Hamburger Reeperbahn, wo Zehntausende die Show in Norwegen auf riesigen Leinwänden verfolgten. Kurz vor ihrem Auftritt - alle Künstler wurden auf ihrem Weg zur Bühne eingeblendet - kreuzte Lena ihre Finger und lächelte tapfer in die Kamera. Bei ihrer Performance war sie dann so gut wie nie zuvor. Jede Bewegung, jede Geste drückte Freude und Lust an dem aus, was sie ganz offensichtlich am liebsten tut: singen.
Während Lena ihren großen Auftritt hatte, glaubte sie vermutlich nicht an ihren Sieg. Gewonnen hat sie ihn freilich ganz alleine, durch ihre Natürlichkeit, ihre Präsenz, ihre jugendliche Ausstrahlung. In den wenigen Monaten davor, seit sie in der Öffentlichkeit aufgetaucht war, hatte Lena sich nie verbogen beziehungsweise verbiegen lassen, war stets sie selbst. Einzig, so schien es, auf Stefan Raabs Tipps hörte sie. Und der ließ die junge Frau weitgehend gewähren, weil er wohl instinktiv wusste, welch ungewöhnliches Talent er mit Lena vor sich hatte.
Zu Lenas so unerwartetem wie eindeutigem Sieg gesellte sich auch noch eine überraschende Medienunterstützung.
Die großen norwegischen Zeitungen etwa widmeten Lena zehn Tage lang täglich Artikel. Mal waren es Berichte samt Fotos von einem »romantischen Duett« auf einem Schiff mitten im Osloer Fjord mit dem Contest-Teilnehmer Norwegens, Didrik Solli-Tangen, dann gab es wieder Bilder mit dem Vorjahressieger Alexander Rybak.
Zusätzlich gab es heimelige Sprüche von Solli-Tangen, er wolle für Lena bald mal einen Kuchen backen. Rybak ließ darauf am nächsten Tagen verlauten, er würde Lena gleich eine ganze Kuh schenken. Über so viel ungeplante Werbung konnte sich die deutsche Contest-Teilnehmerin samt ihrer Crew uneingeschränkt freuen. Endlich gab es nach dem Sieg, den Nicole mit dem Lied »Ein bisschen Frieden« vor 28 Jahre errungen hatte, einen deutschen Beitrag, der auch über die einheimischen Grenzen hinaus eine Menge Menschen in Europa ansprach. Und so waren es am Ende nur fünf Länder, die »Satellite« mit null Punkten bedachten: Weißrussland, Israel, Moldau, Georgien und Armenien.
Der Norddeutsche Rundfunk (NDR), der die Übertragungsrechte für den Eurovision Song Contest besitzt, war auf einen Sieg von Lena gar nicht richtig vorbereitet. Trotz Lenas wochenlanger Favoriten-Stellung vor allem im Internet erschien den Verantwortlichen ein Gewinn unwahrscheinlich. Als dieser sich dann bei der Punktevergabe immer deutlicher abzeichnete, wurde hinter den Kulissen aufgeregt diskutiert, was nun übertragungstechnisch zu tun sei. Eine Siegerkonferenz
musste her, so viel war klar - aber was dabei konkret zum Ausdruck bringen in der Öffentlichkeit?
Eiligst wurden erste Statements formuliert und noch in Rohfassung hinaus in die Welt geschickt. Thomas Schreiber, der ARD-Unterhaltungschef und zugleich der Mann, der sich die erstaunliche Kooperation zwischen der öffentlich-rechtlichen ARD und dem Privatsender ProSieben ausgedacht hatte, konnte immerhin rasch zum großen Empfang einladen, der für den Nachmittag des kommenden Tages in Lenas Heimatstadt Hannover angesetzt wurde.
Dort wurde Lena an jenem Sonntag, dem 30. Mai, vom niedersächsischen Landeschef Christian Wulff persönlich auf dem Rollfeld am Flughafen empfangen. Wulff hatte schon in der Siegesnacht mit den Worten gratuliert: »Das ist ein großer Tag für Deutschland und natürlich auch für Niedersachsen.«
Lenas großer Tag endete für die Hannoveranerin allerdings früher, als die deutschen Fans in Oslo es sich erhofft hatten. Gerade mal zehn Minuten beehrte sie ihre eigene
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