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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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Raskowa, Dolores Ibárruri 41 , einer deutschen Schriftstellerin, einer Rumänin und vieler ­anderer.
    Tief bewegende Worte!

    Es heißt, dass gestern um zwölf Uhr abends Bomben auf den Stary Newski abgeworfen wurden, die drei Gebäude zerstört haben. Bislang bin ich am Leben, aber was später sein wird, weiß niemand.
    8. September
    Morgens gab es einen kleinen Fliegeralarm. Gestern habe ich das Buch von Wodowosowa »Im Frührot der Zeit« ausgelesen. Ljusja hat mir ein Buch gegeben: »Curumilla« von Gustave Aimard 42 .
    Heute kam Mama wie immer um sieben Uhr. Sie brachte Tomaten, Kohl mit, und wir setzten uns zum Essen. Wir hatten kaum drei Löffel gegessen, als die Sirene laut aufheulte. Wir aßen ruhig weiter, öffneten nur das Fenster ein wenig. Aber wir hatten kaum zwei Löffel gegessen, als wir die ersten Flaksalven hörten, dann noch mehr und immer näher, dann knatterte etwas. Und schließlich war es nicht mehr möglich, im Zimmer zu bleiben. Mama lief los, um in Erfahrung zu bringen, was los war. Meine Augen weiteten sich vor Angst, ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf, weil etwas Unbegreifliches vor sich ging, es war ein Krachen, ein Lärm, dass man das Gefühl hatte, dass der Himmel selbst zerbarst. Ich dachte schon, dass Bomben explodierten, dass das Ende gekommen sei. Ich schnappte meinen Mantel, versuchte, ihn mit zitternden Händen anzuziehen, stülpte mir die Schirmmütze über und raste in den Luftschutzkeller hinunter. Die Leute kugel­ten wie Erbsen die Treppe herab, manche schleppten Kinder im Arm, andere zogen die Alten hinter sich her. Und auf der Straße passierte irgendetwas, irgendetwas Schreckliches. Ich hatte nur einen Gedanken: schnell nach unten, dort wartet die Rettung.
    Der Luftschutzkeller ist voller Menschen. Irgendwie drängten wir uns in den zweiten Raum durch, und dort setzten wir uns hin. Hinter der Wand aber krachte und donnerte es, obwohl es im Luftschutzkeller sehr laut zuging.
    Als es ganz still wurde, ging Mama nach Hause, da sie hungrig und müde war. Auch Aka ging nach Hause. Ich blieb. Bald kehrte Mama zurück, beugte sich zu uns herab, damit andere sie nicht hören konnten, und sagte, nicht weit von uns gebe es einen riesigen Brand, da eine Rauchsäule den halben Horizont verdecke. Bald darauf gab es Entwarnung. Ich rannte auf die Straße. Als ich im Hof war, merkte ich, dass es ganz dunkel war. Alle blickten nach oben, ich auch und erschrak. Wirbelnd und sich windend breitete sich eine Rauchwolke wie eine Gewitterwolke über dem Himmel aus. Unheil verkündend und bedrohlich bot sie ein imposantes Bild und erinnerte an einen Vulkanausbruch. Noch nie hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Ich rannte zur Iwanowskajastraße. Dort war alles in Bewegung. Alle eilten mit den Armen fuchtelnd irgendwohin, wedelten mit den Armen. Junge Männer und Jugendliche strebten, die Passanten beiseitedrängend, in Scharen dorthin, woher diese furchterregende Wolke kam. In der Luft roch es nach Verbranntem. Ich ging die Iwanowskaja entlang bis zur Prawdastraße und folgte dieser ein wenig. In den Lücken zwischen den Häusern sah ich, dass dieser Rauch unten purpurrot war, er wirbelte und kroch langsam über den Himmel. In der Swenigorodskaja rasten Feuerwehrkommandos, ein Auto nach dem anderen. Eine Frau bemerkte im Vorübergehen, »es« sei hinter dem Alexander-Newski-Kloster, etwa drei Kilometer von hier.
    »Die Chemiefabrik brennt. Da, wo Lacke und Farben …«, sagte sie und rannte weiter.
    Ich ging nach Hause. In der Iwanowskaja gaben Kinder mit der Zahl von Granatsplittern an, die sie gefunden hatten. Auf dem Sagorodny rasten ebenfalls Einsatzwagen des elften Feuerwehrkommandos vorbei. Ja, ein schönes Geschenk haben die Faschisten Leningrad gemacht. Wie konnten sie, diese Halunken, nur so weit vordringen? Das verstehe ich nicht.
    Es heißt, Bomben hätten auf dem Stary Newski ein sechsstöckiges Haus zerstört. Die Gegend sei dort von der Milizija abgesperrt, und heute seien den ganzen Tag Leichen abtransportiert worden.
    Heute werde ich mich nicht ausziehen. Gott, wie wird diese Nacht nur sein!

    Von halb elf bis Viertel vor eins dauerte dieser Fliegeralarm an. Ich hatte mich gerade hingelegt und wollte einschlafen. Als hätte ich geahnt, dass es einen Alarm geben wird, hatte ich mir nicht mal die Schuhe ausgezogen. Sobald die Sirene aufheulte, sprang ich auf, zog meinen Mantel an und verließ mit den anderen die Wohnung. Ich rannte in den Luftschutzkeller. Meine Eile war

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