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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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sie verstecken sich hinter den Wolken, sie fliegen in die Sonne. Plötzlich bleibt eines zurück, man hört es genau: Der Motor hat Aussetzer, das Flugzeug fliegt immer tiefer. Er ist von Lichtblitzen der Explosionen umgeben, nach ihnen bilden sich sofort weiße Wolken. Plötzlich erscheint hinter dem Flugzeug eine graue Wolke. Sie folgt ihm unaufhaltsam.
    »Es brennt, schaut nur, es brennt!«, ruft jemand neben mir.
    »Wo?«
    »Da, siehst du, die graue Wolke hinter ihm?«
    »Ja, sehe ich. Heißt das, es brennt?«
    »Ja, klar.«
    Ich richte meinen Blick wieder auf das sterbende Flugzeug. Es sinkt, auch wenn nicht sehr schnell, aber es sinkt. Die graue Wolke wird größer. Gleich wird es hinter dem Hügel verschwinden. Aber was ist das? Es kippt zur Seite und stürzt fast senkrecht ab.
    »Fertig«, sagte jemand.

    – – –
    Jetzt werde ich eine Begebenheit aus lange zurückliegender Zeit schildern. Als ich mit der Schakt zur Tarkowitschi-Station fuhr, habe ich dort drei Tage lang gearbeitet. Wir haben von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens geschuftet. Was für eine Qual das war. Am Ende war ich völlig entkräftet. Meine Kräfte reichten gerade so, um mich nach Hause zu schleppen. Wir konnten uns kaum auf den Beinen halten, uns war schwindlig. Den ganzen Tag lagen wir dann bis sechs Uhr abends auf bloßen Brettern völlig kraftlos. Wir waren so geschafft, dass die Zeit nicht ausreichte, um Kraft für die neue Arbeitsschicht zu schöpfen. Wie sollte man auch Kraft schöpfen? Wir bekamen ja kaum etwas zu essen. Am ersten Tag haben wir gar nichts erhalten. Am zweiten Tag hat jeder von uns 100 g Brot bekommen und etwa um drei Uhr herum eine Schüssel Weizenbrei. Aber was war das für ein Brei! Obwohl ich sehr hungrig war, habe ich ihn kaum hinunterschlucken können und musste mir große Mühe geben, mich nicht zu erbrechen.
    Am selben Tag kam ein Lastkahn mit Lebensmitteln bei uns an. Und um fünf Uhr haben wir 50 g Wurst und 100 g Käse und Brot pro Person bekommen. Auf dem Lastkahn wurden auch Piroggen mit Fleisch­füllung verkauft, Konservendosen »Erbsen mit Fleisch« und eine riesige Menge Limonadeflaschen. Aber das war alles nur für Geld zu haben.
    Der vierte Tag meiner Erdarbeiten war angebrochen. Sobald wir von der Arbeit zurückkamen, legte ich mich auf die Bretter, wickelte mich in die Decke ein, und eine Minute später schlief ich bereits tief und fest.
    Später erwachte ich halb und hörte leise Stimmen: »Der Vorarbeiter hat darum gebeten, eine Liste der 16-Jährigen zu erstellen. Wahrscheinlich sollen sie nach Hause geschickt werden.«
    Eine Frau sagte: »Ja, das wäre richtig. Sie sind völlig am Ende, die Armen.«
    Als ich das hörte, wachte ich endgültig auf und stützte mich auf die Ellbogen. Soja war schon dabei, eine Liste zusammenzustellen, in die ich auch eingetragen wurde. Erst befürchtete ich, dass ich träume. Ich traute meinen Ohren nicht. Ich hatte solche Angst, dass sie es sich anders überlegen könnten und uns nicht nach Hause schicken. Alle blickten neidisch auf uns.
    »Mädels, ihr habt so viel Glück, ihr dürft fahren«, hörten wir unentwegt.
    Besonders ärgerte sich ein 17-jähriges Mädchen: »Herrgott, warum bin ich nicht 16?«
    »Ihr Lieben«, sprach eine Frau, »wann werden wir Leningrad wiedersehen? Vielleicht werden wir es nie wiedersehen.«
    Ich lag da und grübelte. Hat sich das Schicksal etwa meiner erbarmt? Werde ich dieser Hölle tatsächlich entrinnen können?
    Der Vorarbeiter kam, nie werde ich ihn vergessen, er war ein so wunderbarer Mensch, jedenfalls kam er zu uns und sagte, es ging schon auf sechs zu: »Ihr Mädchen, packt eure Sachen und geht mit dieser Liste zum Stab, ich komme später nach. Und wir«, wandte er sich an die anderen, »gehen jetzt arbeiten, Genossen.«
    »Wann dürfen wir denn fahren?«
    »Das weiß ich nicht, nichts weiß ich, Genossen. Ich weiß nur, je schneller wir mit der Arbeit fertig sind, desto schneller werden wir fahren dürfen.«
    Wir packten rasch unsere Sachen zusammen und verabschiedeten uns von allen. Es ist schwer zu beschreiben, wie sehr wir benei­det wurden.
    Wir gingen zur Stabsstelle. Da gab es schon einen Menschenauflauf. Es stellte sich heraus, dass es alles Kranke waren. Wir machten es uns an der Seite gemütlich. Bald darauf rückten uns Zigeuner auf die Pelle. Dann verschwanden sie alle wieder, aber eine Zigeunerin, ein Mädchen in unserem Alter, kam zu uns und bot uns an, uns wahrzusagen. Wir lehnten ab. Aber es

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