Lenas Tagebuch
nicht übertrieben, schon als wir in den Keller hinuntergingen, krachte und donnerte es auf der Straße. Im Luftschutzkeller waren noch mehr Leute als tagsüber. Draußen tobte die Flak, dann hörte man Granatfeuer, und unter uns zitterte der Boden. Für eine Minute war der Strom weg, und alles versank in Dunkelheit.
Wir saßen gar nicht so lange im Luftschutzkeller, vielleicht zwei Stunden lang, aber zum Schluss waren wir völlig erschöpft. Die Kinder weinten, wollten nach Hause, die Mütter konnten sie nicht mehr auf dem Arm halten, alle wollten schlafen. Während der ersten Stunden kamen immer mehr Menschen mit in Decken gewickelten Kindern an. Der Luftschutzkeller war gerammelt voll. Und das waren nur zwei Stunden. Was wäre gewesen, wenn wir sechs oder acht Stunden da hätten sitzen müssen? Wie hätten wir das ausgehalten? Ich bin heute überhaupt nicht ausgeschlafen. Mein Kopf dröhnt.
Das Informbüro teilte heute mit, dass bei Smolensk einige feindliche Divisionen nach 26-tägigen Kämpfen zerschlagen wurden. Die Reste dieser Divisionen ziehen sich rasch zurück.
Heute wurde zum ersten Mal gemeldet: »Luftangriff deutscher Flugzeuge auf Leningrad«. Es hat sich herausgestellt, dass eine Gruppe feindlicher Flugzeuge den Schutzschild der Luftabwehr durchbrochen hat und beim ersten Anflug Brandbomen über verschiedenen Stadtvierteln abgeworfen wurden. In Wohngebäuden und Lagern entstanden einige Brände, die schnell gelöscht wurden. (Schön »schnell« – fünf Stunden lang hat es gebrannt.)
Beim zweiten Luftangriff warf der Feind Sprengbomben ab. Es wurden Gebäude zerstört. Es gibt Tote und Verletzte. Militärische Ziele wurden nicht getroffen.
Jetzt ist es noch nicht einmal neun Uhr. Gerade ist ein kleiner Fliegeralarm zu Ende gegangen. Merkwürdig ist jedoch: Schon lange wurde Entwarnung gegeben, aber ich habe deutlich Flugzeuglärm und einzelne Schüsse der Flak gehört.
Auch jetzt Flugzeuglärm. Es ist ein Aufklärungsflugzeug, das die Ergebnisse der Arbeit der gestrigen Gäste begutachtet.
Also für den Anfang nicht schlecht. Gestern sind das Gaswerk, die Badajew-Lebensmittellager, Textilwarenlager und die Warenentladestation der Witebsker Eisenbahnlinie abgebrannt. Und wie der Fußboden gezittert hat! Wahrscheinlich waren es Bomben größeren Kalibers. Ja, ein schönes Geschenk Hitlers! Aber wir werden uns rächen, für alles werden wir uns »an ihnen« rächen.
Auge um Auge! Zahn um Zahn! Diese Untiere mit menschlichem Antlitz lassen sowjetische Bürger, die ihnen in die Klauen geraten, so schrecklich foltern, dass es alle Foltermethoden des Mittelalters übertrifft. Sie hacken zum Beispiel einem Menschen Arme und Beine ab und werfen den noch lebendigen Stumpf ins Feuer.
Nein, sie werden dafür bezahlen. Für die durch Bomben und Granaten getöteten Leningrader, Moskauer, Kiewer und viele andere, für die gequälten, zerfetzten und verwundeten Kämpfer der Roten Armee, für die erschossenen, zerfetzten, erstochenen, gehängten, lebendig begrabenen, verbrannten, zerquetschten Frauen und Kinder werden sie voll bezahlen. Für die vergewaltigten Frauen und jungen Mädchen, für den gehenkten Jungen Sascha, der keine Angst hatte und das rote Halstuch 43 trug, für die von Kugeln durchlöcherten Kleinkinder und Frauen mit Säuglingen im Arm, die von den wilden Bestien hinter dem Steuer der Flugzeuge aus Spaß gejagt wurden – für all das, für alles werden sie büßen.
Heute ist der 9. September. Jetzt ist es zwölf Uhr nachts. Heute gab es neun Fliegeralarme, von denen zwei mehr als zwei Stunden dauerten. O Gott, wie sehr einen diese häufigen Fliegeralarme zermürben. Meiner Meinung nach wird es in der Stadt, wenn es zehn Tage lang jeden Tag neunmal hintereinander Fliegeralarm gibt, mehr Geistesgestörte geben als geistig gesunde Menschen. Ich sage das nur deshalb, weil nur ein einziger solcher Tag vergangen ist und wie nervös die Menschen jetzt schon sind. Auf den Straßen ein Durcheinander, ein Wirrwarr. Die Menschen rennen wie von Sinnen auf den Bürgersteigen. An den Straßenbahnen hängen sie, vor dem Trolleybus eine Warteschlange. Das sagt sich natürlich leicht: Es gab neun Mal Fliegeralarm. Aber was waren das für Fliegeralarme: Die Flak feuerte aus allen Rohren, die Explosionen der Bomben donnerten und erschütterten alles ringsum.
Jeder Fliegeralarm hat Dutzende Menschenleben gefordert. Jeder Fliegeralarm bedeutet zerstörte Gebäude, bedeutet Opfer.
Neun
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