Lenke meine Fuesse Herr
noch immer heiß, doch mit geschlossenen Fenstern bleibt auch der bestialische Schweinegestank draußen. Ich lege mich auf mein Bett und schlafe ein, verschlafe das gemeinsame Abendessen und wache mit Bärenhunger auf! Also noch mal in die Bar — da gibt’s ein gutes Omelett mit Schinken, danach ein Eis und natürlich Wein! Einige Pilger aus der Herberge sind auch da und es wird recht lustig. Nur eine Engländerin ermahnt — vergeblich — ihren Mann: „Trink nicht so viel Wein, sonst schnarchst du heute Nacht!“
Mittwoch, 3. August 2005
Olveiroa – Kap Finisterre ca. 30 km
Die Engländerin hat recht behalten: Ihr Mann schnarchte in der Nacht wie ein Walross! Das wäre ja noch angegangen, doch um fünf Uhr beginnt er, zu packen — und dazu macht er die Deckenbeleuchtung im Schlafsaal an und knistert lautstark mit Plastikbeuteln! Wütende Proteste: Wir wollen schlafen! Und da sagt der Kerl: „Dann macht die Augen zu und zieht die Decke über den Kopf!“ Seiner Frau ist das sichtlich unangenehm, mir tut sie richtig leid. Aber ich habe es einfach: Ich muss nur den Arm ausstrecken und bin am Lichtschalter. Dunkel, verblüffte Ruhe. Ich schlafe wieder ein und wache vom erneuten Protest der Mitschläfer wieder auf — immerhin fast zwanzig Minuten! Noch einmal das gleiche Spiel, dann wird es mir zu bunt: Ich stehe auf, stecke meine Zahnbürste und den Seidenschlafsack in den Rucksack und ab bin ich auf der noch dunklen Straße.
Kurz nach Hospital eine offene Bar mit dem Hinweis: „Letzte Bar für die nächsten 15 Kilometer!“ Entsprechend belagert ist sie — ich frühstücke ausgiebig. Dann teilt sich der Weg: Rechts geht es nach Muxía, zu dem Ort, an dem Maria der Legende nach in Spanien gelandet ist, um Jakobus bei seiner Missionierung der Iberer Mut zu machen. Man hat mir erzählt, das sei wunderschön dort. Ich zähle die Tage: heute Muxía, morgen Finisterre, ein Tag dort, nächster Tag zurück Bus nach Santiago, am Siebten fährt mein Zug — nein, das ist mir zu knapp. Heute vor drei Monaten bin ich aufgebrochen und ich will heute mein Ziel erreichen! Lieber einen Tag länger in Fisterra erholen — also links!
Es geht an einer Fabrik vorbei — Steinbruch oder Zementfabrik — einen Hügel hoch — und da ist hinter den Bergen eine schwache blaue Linie — ist das die See? Ein paar hundert Meter weiter, auf dem nächsten Hügelkamm, dann die Gewissheit: Vor mir liegt der Atlantik! Ich bin total überwältigt, setze mich auf einen Stein und rufe reihum an: meine Frau, meine Schwestern — ich bin kurz vor dem „Ende der Welt“! Ich habe es tatsächlich geschafft! Mehr als 2600 Kilometer, Schritt für Schritt! Der Professor aus New York kommt vorbei und er meint, diesen historischen Moment müsse man festhalten: So fotografiert er mich, mit dem Handy am Ohr und dem Atlantik im Hintergrund.
Weiter durch Eukalyptus- und Kiefernwälder. Eine schöne alte Kirche — deutlich zu erkennen ist, dass da öfter großer Auflauf ist: Nosa Señora das Neves. Dann ein altes Steinkreuz — und da hinten ist das Kap zu erkennen: Finisterre! Hinab nach Cee — und ich erinnere mich daran, dass ich vor dem Aufbruch zu meinen Füßen gesagt habe: „Wenn ihr durchhaltet, dürft ihr bei der ersten Gelegenheit im Atlantik baden!“ Sie haben durchgehalten und ich marschiere schnurstracks zur Strandpromenade, über den Strand und bis zu den Knien ins Wasser — Mensch, tut das gut!
Bevor ich den Ort verlasse, trinke ich in einer Bar noch ein Bier und antworte auf die Frage des Wirtes, woher ich käme, wahrheitsgemäß: „Zu Fuß aus Deutschland!“ Der will es nicht glauben und bald steht eine ganze Traube von Neugierigen um meinen Tisch und bestaunt meinen Pilgerpass, anhand dessen ich erkläre, wann ich wo war.
Weiter, den Berg hinauf. Linker Hand ein Refugio — San Roque: passend für Pilger. Und gegenüber ein Bordell! Ungemein passend!! Es geht wieder in den Wald, dann kommen die ersten richtigen Badeorte. Es ist heiß, alle Wolken haben sich verzogen, ich habe Hunger! Am Weg ein Restaurant — ich bestelle mir eine große Pizza und ein großes Bier. Während ich das vertilge komme ich mit einem deutschen Paar ins Gespräch — die Frau ist eine Pfarrerstochter aus Unterfranken! Sie sind etwas besorgt, weil unter der Motorhaube ihres Leihwagens eine kleine Wasserlache steht. Ich beruhige sie ein bisschen: Das ist wahrscheinlich Kondenswasser von der Klimaanlage. Öl ist das nicht und der Kühlwasserstand
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