Lensmen 09 - Lensmen von Rigel
Stein lag auf seiner offenen Handfläche und versprühte sein wechselhaftes Licht. Bei den Facetten handelte es sich nicht um vieleckige Ebenen oder Außenflächen, sondern um entsprechende Ausbuchtungen, ähnlich winzigen runden Buckeln. Während die Lens-Träger den Stein betrachteten, verflachte es sichtbar und schmiegte sich in die Senke der Hand. Ein ordovikischer Kristall, härter als ein Diamant, formte sich ständig um – von rund zu oval zu Tropfenform – und die reflektierten Lichtmuster waren dabei in ständigem Wechsel.
Wenn von dem ruhigsten aller Geschöpfe, einem Palainianer, jemals ein leidenschaftliches Gefühl ausging, so wurde es in diesem Augenblick von den Anwesenden wahrgenommen und als außerordentliche Tatsache registriert. Nadreck hatte gewissermaßen ein langes, leises, emotionell geladenes Stöhnen von sich gegeben.
»Das ist einer der schönsten Steine, die ich je gesehen habe«, sagte Nadreck. »Ich werde ihn persönlich untersuchen, denn es steht darin geschrieben, daß es mein Geschick ist, dies zu tun.« Und mit dieser rätselhaften Bemerkung beendete er eine aktive Phase, und viele Minuten lang war kein Gedanke oder Kommentar mehr von ihm zu vernehmen.
»Kein Wunder, daß Sie den Stein bei sich tragen wollen«, sagte Kinnison. »Ein prachtvolles Stück. Wie sieht seine Gedächtnismatrix aus ...?«
»Wie ich eben schon sagte«, fuhr Cloudd fort, »ist dieser Kristall etwas Besonderes. Er ist von einem Fachmann ausgekocht, geschnitten und poliert worden. Ich bin davon überzeugt, daß seine naturgegebenen Eigenschaften, wonach er Spuren aller Strahlungen in sich bewahrt, von sichtbarem Licht bis hin zu Geisteswellen, durch die Aufbereitung verstärkt worden sind. Ich bin kein Kristall-Fachmann. Ich meine nur, daß er von Ihnen als Lens-Träger gesehen und untersucht werden muß.«
»Warum?« fragte Tregonsee.
»Na, auch wenn Sie den Gedächtnisspeicher nicht direkt entziffern können, wissen Sie vielleicht doch einen Weg zu diesem Ziel.«
»Warum?« hakte Tregonsee nach, »was könnte Ihrer Meinung nach darin zu finden sein?«
»Der Kristall wurde in unmittelbarer Nachbarschaft der Drohne gefunden, an der sich ein Techniker zu schaffen gemacht hatte. Wenn der Kristall aus der Sammelbox dieser Drohne kam, können wir vielleicht die Position des Ortes ermitteln, von der die Drohne zuletzt kam. Vielleicht läßt sich auch erkennen oder erfassen, wie das Ding eingesammelt wurde. Jedenfalls gab es eine von der Drohne ausgelöste Explosion, die den Techniker tötete. Wir, das heißt, ich habe nun die Hypothese, daß diese Detonation auf ein Zusammenfließen von Materie und Anti-Materie zurückgeht. Durchaus möglich, daß der Kristall auf einigen Wellenlängen eine Aufzeichnung dieses Ereignisses enthält. Sollte andererseits der Techniker der Überbringer des Kristalls gewesen sein, wird der Stein uns das verraten. Auf jeden Fall werden wir neue Hinweise über Anti-Materie gewinnen, die manche Drohnen an Bord haben – die vielleicht sogar bei allen Drohnen zu finden ist. Im Augenblick haben wir kaum einen Anhalt über Funktion, Beschaffenheit und die absolut unergründbaren Eigenschaften der Anti-Materie aus den Drohnen.«
»Benson Cloudd«, sagte Tregonsee. »Sie haben bis jetzt vor Gericht gestanden, ohne es zu wissen, weil Sie diesen ordovikischen Kristall in Besitz hatten. Sie haben völlig recht: Dieser Stein ist etwas Besonderes. Eine Eigenschaft des Kristalls ist aufgedeckt worden, die uns zuvor unbekannt war. Er ist nämlich ›abgestimmt‹, wie man sagt, d.h. er bildet eine Art Locksignal für die Konzentration bestimmter Energiekräfte. Diese könnten beispielsweise mit jenen identisch sein, die bei den Tunnelüberfällen verwendet wurden – dann wäre der Kristall eine Waffe unserer Gegner. Meine Verantwortung für unsere Sicherheit zwingt mich zur Vorsicht; deshalb mußte ich mich in Ihrem Fall vorsehen. Denn schließlich waren Sie ein relativ unbekannter Mensch, der hier auf direktem Wege in die Zentren der Macht vorstieß. Während Sie hier standen, wurde Ihr Gehirn gründlich untersucht. Wir wissen nichts über die Einzelheiten Ihres Lebens, soweit es über die allgemein bekannten Details hinausgeht, noch sind uns irgendwelche Tatsachen bekannt, die Sie für privat und unverletzbar halten müssen – doch kennen wir nun Ihre Persönlichkeit, Ihre Motivation, Ihren ureigenen Wert und Ihre moralische und ethische Grundeinstellung. Weil wir darin große Erfahrung
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