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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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stand ganz starr und ließ seinen Blick am Zug entlanglaufen, musterte die Aussteigenden, und dann entschied er: Das ist er, das muß er sein.
    Ein alter Mann mit schwarzem Hut stand am Ende des Zuges und wartete geduldig neben seinem Gepäck. Das ist er, Bruno. Wir rannten. Wir winkten. Leslie, sagte der Chef zur Begrüßung, und der alte Mann sagte Konrad, und danach hielten sie sich an beiden Händen und sahen sich an; viel brauchte wohl nicht gesagt zu werden zwischen ihnen. Als ich Professor Gutowski die Hand gab, da nickte er mir freundlich zu, gerade so, wie man einem alten Bekannten die Hand gibt, da mußte ich gleich denken, daß ihm der Chef in einem seiner vielen Briefe von mir erzählt hatte. Bruno schnappte sich den Koffer, der Chef ließ es sich nicht nehmen, die Reisetasche zu tragen, und gemächlich zogen wir den Bahnsteig hinauf, ließen den Zug abfahren und überquerten zu dritt unter den Augen des Stationsvorstehers die Gleise. Der Chef fragte, ob die lange Reise nicht zu beschwerlich gewesen sei, und der Besucher erzählte von einem Schiff, das so groß war wie eine Stadt, in den ersten drei Tagen habe er sich immer verlaufen, und wo er auch hinkam, jedesmal führte sein Irrweg in einen erleuchteten Speisesaal, in dem es alles zu essen gab, was man sich nur denken kann, Krebse, Schinken und Geflügel, einfach alles. Es gab da Musik auf dem Schiff und Kino und Vorträge, mitunter hat der alte Mann ganz vergessen, daß er übers Meer fuhr.
    Untergehakt gingen sie vor mir her. Sie hatten sich noch nie gesehen. Um mitzubekommen, worüber sie sonst noch sprachen, hielt ich mich hinter ihnen, und ich hörte, wie sie in unseren Quartieren über die Bäume redeten, über die Fähigkeiten beschädigter Bäume, sich zu behaupten und neu auszutreiben.
    Sie hatten sich nie zuvor gesehen und sprachen auf ihrem ersten gemeinsamen Weg gleich darüber, was Bäume alles ertragen können. Die Stümpfe, die mit ruhenden Knospen kamen, der erfrorene Ölbaum, der aus den Wurzeln treibt. Der alte Professor war wohl überall gewesen; was es zu sehen gab, das hatte er gesehen. Die Eukalyptusbäume, die zundertrockene Rinde haben und sich den regelmäßigen Bränden in ihrer Heimat dennoch so gut anpassen können, daß ihnen sengende Hitze und Feuer nichts ausmachen. Die Bäume in Afrika, die sich mit Korallensträuchern umgeben, um gegen Feuer geschützt zu sein. Pflanzen, die unterirdische Stämme besitzen. Dieser Baum auf einer vulkanischen Insel, der manchmal von glühender Asche verschüttet wird und trotzdem die Kraft behält, wieder auszutreiben. Die kahlen, verkohlten Stämme, die vor einem Bombenangriff Bäume waren und die, obwohl ihnen alle Zweige und Äste abgerissen wurden, schon nach einigen Monaten wieder Blätter haben. Wenn sie aber tot sind, verschwinden sie schnell und gründlich – von denen zerpulvert, verwertet, die von ihnen leben, und man kann sich kaum ausdenken, wer alles von toten Bäumen lebt.
    Dann und wann blieben sie stehen, aber der Wunsch, stehenzubleiben, ging allein von ihm aus, von unserm Besucher, der über unsere Quartiere hinblickte zur Thujawand oder zur Holle hinunter, die sich schwarz durch die Wiesen drängte; sobald sie stehenblieben, schwiegen sie, der alte Mann unter dem dunklen Hut sah dann ganz versonnen aus, und seine Haut, in unserm Licht schimmerte sie rosig. Am längsten standen sie vor der Festung, unser Besucher musterte sie forschend, er prüfte da gewiß etwas, verglich wohl das Haus mit dem Bild, das er einmal bekommen hatte.
    Und dann mußte er auch schon Dorotheas Winken erwidern, sie hatte uns bereits erkannt, sie stand auf der Terrasse neben dem beschirmten Tisch und winkte und reckte sich – Dorothea, die unseren Besucher auch noch nie gesehen hatte und die ihn zur Begrüßung umarmte und sagte: Willkommen, Leslie, willkommen.
    Mir hatte der alte Professor kein Geschenk mitgebracht, doch Dorothea, die bekam eine weinrote Brosche, die sie gleich anstecken mußte, ein gezacktes Blatt, das ganz dünn in Gold eingefaßt war, und der Chef bekam fünf kleine Silberbecher, die ineinanderpaßten, Trinkbecherchen, zu denen ein Lederetui gehörte. Mit einem bedeutungsvollen Blick auf seinen Koffer sagte der Besucher: Meinen offiziellen Auftrag erledige ich wohl später; das war Dorothea nur recht, sie wollte, daß erst einmal Kaffee getrunken und von der Reise erzählt wurde.
    Wie gern ich ihm zugehört hätte, ich hätte wer weiß wieviel gelobt und versprochen, um

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