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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Joachim leise, das ist doch eine Zumutung, ein unnützes Erbsenzählen – was meinst du, Bruno? Ich weiß nicht, was ich glauben soll, noch weiß ich es nicht, und ich möchte auch nichts zu ihm sagen, weil er über den Chef den Kopf schüttelt, so, wie er es viele Male über mich getan hat. Jedenfalls sieht es ihm ähnlich, sagt Joachim und geht langsam fort. Auch der Chef läßt Ewaldsen stehen und geht fort, er geht seinen eigenen Weg, nicht ein einziges Mal sieht er sich nach Joachim um, der auf dem Hauptweg zögert und sich dann doch entschließt, den Soldaten zu folgen.
    Ja, ja, ich komm schon, Ewaldsen, ich kann mir schon denken, welche Arbeit ihr für Bruno ausgesucht habt, ich weiß schon im voraus, daß wir gemeinsam alles abgehen werden, um auch den kleinsten Schaden zu notieren, jeden gebrochenen Zweig, jede ausgerissene Pflanze. Also, wir machen es so, wie der Chef es will, sagt Ewaldsen, er hat mir Papier gegeben und diesen Stift, du, Bruno, wirst mir das Nötige zurufen, nur Gattung und Schaden, und ich werde alles aufschreiben, klar? An der Art, wie Ewaldsen mir meine Arbeit zuweist, merk ich schon, daß er nicht allzuviel hält von der Anweisung des Chefs, vermutlich möchte er auch den Kopf schütteln über die Rechnung, die am Ende herauskommen soll, aber er wagt es nicht, winkt mich nur gleich ein und murmelt: Fangen wir an.
    Er hat recht: wo hab ich nur meine Augen, ich hab schon wieder einen geknickten Stamm übersehen, aber das kommt davon, daß ich dem Chef nachsehen muß, der gebeugt über das Land geht, so gebeugt, als überprüfte er die krümlige Erde. Vielleicht soll ich doch auf alles verzichten, was er mir zugedacht hat, vielleicht kämen sie sich dann näher eines Tages und einigten sich auf der Festung, und es wäre wie früher, aber er selbst will nicht, daß ich die Verzichtserklärung unterschreibe, und er wußte noch immer, was das richtige war. Wegrasiert sind hier die Kronen der Schattenmorellen, wer weiß, ob das auch die Soldaten gemacht haben.

Manche glaubten, daß der Chef sich überhaupt nicht freuen konnte, aber ich weiß, daß er oft genug Gründe zur Freude fand, kleine unscheinbare Gründe mitunter, die ihn fröhlich sein ließen oder gutgelaunt oder auf heitere Art zufrieden: es genügte ihm, daß ein Pflanzplan aufging, daß sich eine Balliermaschine bewährte oder Schnittlinge Adventivwurzeln anlegten und Triebknospen bildeten – mehr brauchte es gar nicht zu sein. Weil er offener zu mir war als zu anderen, hat er mir seine Freude oft genug gezeigt, sogar seine Vorfreude hat er mir gezeigt, er tippte mich manchmal mitten in der Arbeit an und sagte nur: Komm, Bruno, nun wollen wir uns mal belohnen, und an seinem Schritt und an seiner Neigung, im Vorübergehen Dinge zu berühren – einen Wasserhahn oder einen Zaun oder einen Zweig, den er bog und zurückschnellen ließ –, merkte ich schon, daß er gut aufgelegt und gespannt war auf etwas.
    Komm, Bruno, und ich ließ meine Arbeit liegen und ging mit ihm zum Hollenhusener Bahnhof, wir kletterten nicht in sein offenes Auto, in dem er meistens in den Ort fuhr, sondern gingen zu Fuß, an den Schienen entlang, wo die Heuschrecken tickten, an der Schranke vorbei und ohne Bange über die Gleise – er wollte es so. Der Stationsvorsteher sah zu, wie wir die Gleise überquerten, doch er berief und verwarnte uns nicht, er grüßte nur den Chef und lobte den sonnigen Tag, wie auch die meisten, denen wir begegneten, den Chef grüßten, sogar die Frau im Wartesaal tat es, und ohne daß wir ein Wort sagten, brachte sie uns, was wir gern wollten, mir eine Limonade, ihm einen Weizenkorn. Er trank mir zu, zuckte die Achseln, er schien unsicher, aber vergnügt in seiner Unsicherheit, auf einmal sagte er: Wir werden ihn schon erkennen, unseren Gast – in Hollenhusen bleibt keiner unerkannt.
    Den Freund, wir wollten seinen Freund abholen, den der Chef aus vielen Briefen kannte, den er aber noch nie gesehen hatte, er kam ganz aus Amerika zu uns und sollte ein paar Tage in der Festung wohnen, und noch bevor der Zug einlief, auf dem Bahnsteig draußen, sagte der Chef: Es wird da etwas stattfinden gegen Abend, und ich möchte, daß du dabei bist, Bruno; das sagte er.
    Und dann kam der Zug, es war ein einziges Zischen und Rufen und Türenschlagen, viel mehr Leute als sonst stiegen aus, Fremde, die zögerten, die Ausschau hielten, an der Sperre staute es sich schon, hier und da winkten sich einige zu und liefen aufeinander los; der Chef

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