Lenz, Siegfried
hämmerte mit den Fäusten, daß alles nur so zitterte, und dabei rief er meinen Namen und drohte, da hätte keiner gewagt, sich totzustellen. Wie er mich ansah von der Schwelle. Wie er näher kam. Einen Augenblick glaubte ich, daß er mich zum ersten Mal schlagen würde, aber er tat es nicht, er hat es niemals getan, ohne ein Wort drückte er mich sanft auf den Hocker nieder und befühlte meine Stirn, untersuchte und befühlte sie, dann nahm er aus der Schublade mein Brotmesser. Er tauchte die Klinge in meinen Wasserkrug. Leicht preßte er die flache Klinge gegen meine Stirn, wippte auch so ein bißchen, und plötzlich warf er das Messer auf den Tisch und ging zur Tür. Denk an heute abend, sagte er über die Schulter, und mehr sagte er nicht.
Sie waren alle da, bis auf Max, und fast alle wollten wissen, woher die Beulen an meiner Stirn stammten. Dorothea hätte mir am liebsten gleich ihr Wundermittel geholt, und Guntram Glaser empfahl mir leise, was der Chef längst ausprobiert hatte: Leg ein Messer auf, Bruno, deine Schwunghippe. Ich war froh, daß ich die dunkle Jacke des Chefs anhatte, denn die anderen hatten sich ebenfalls zurechtgemacht, trugen Sonntagszeug, Schlipse, Halsketten, es brannten viele Kerzen. Alle hatten ein Wort für mich übrig, sogar Joachim begrüßte mich mit einem Schnalzgeräusch, nur sie guckte durch mich hindurch, zeigte nicht einmal Erstaunen oder Befremden, sondern guckte einfach durch Bruno hindurch: Frau Sasse vom Gut Bodden. In ihrem grünen Kleid, mit dem langen gelockten Haar sah sie gar nicht aus wie eine berühmte Dressurreiterin, aber sie war es, und Joachim, der Maren zu ihr sagte, wollte es ihr wohl nachtun und war immer um sie herum und achtete darauf, daß ihr nichts fehlte. Der alte Professor beklapste meinen Handrücken und sagte: Da ist ja auch unser Freund, und danach bot er mir seinen Teller mit Fisch- und Wursthäppchen an, den Dorothea ihm hingestellt hatte, ich weiß auch nicht, warum er mir gleich seinen Teller hinhielt. Wir umstanden ihn, hörten, was er über das Blühen sagte, er nannte das Blühen ein verzweifeltes Geschäft, das für die Blüte selbst schlecht ausgeht: entweder sie verwelkt nach der Bestäubung, oder sie wird abgeworfen. Er, der viel herumgekommen war, hatte einen Kaktus gesehen, der schon fünf Sekunden nach der Befruchtung seine Blüten schließt, einfach, um den Insekten anzuzeigen, daß der Laden geschlossen ist. Eine Ehrenpreis-Art verfärbt sich von Blau zu Purpur, sobald kein Nektar mehr zu holen ist, und der Zwergbuchs, erzählte er, der wird rot nach der Befruchtung, rot. Viele Blüten verlieren kurz nach der Bestäubung ihren anziehenden Duft, womit den Besuchern gemeldet werden soll: es ist erreicht, bemüht euch nicht mehr. Ja, sagte der alte Mann, Blühen ist ein Problem.
Auf einmal reckte er sich, nahm von einem Beisitztisch einige Papiere und bat den Chef zu sich, bat ihn ganz nah zu sich heran, und er, der alle sonst in die Tasche steckt, sah sich ein wenig verlegen um und folgte der Aufforderung, ganz wohl war ihm nicht dabei, und er mußte sich gefallen lassen, daß Dorothea ihn knuffte: Nu mach schon.
Zuerst also die Urkunde. Im Namen des Verbandes Nordamerikanischer Rhododendron-Züchter, so fing der alte Mann an, besann sich dann aber, schüttelte den Kopf und begann von neuem: Lieber Konrad, meine Damen und Herren. Sie zeigt uns viel, die Natur, sagte er, sie überwältigt und besticht und blendet uns, sie verblüfft uns mit ihren Zufällen und setzt uns matt mit ihren Gesetzen, und bei allem müssen wir erfahren, daß sie noch nicht einmal alle Karten ausspielt. Der alte Professor überdachte das Gesagte, war auch damit nicht zufrieden, er fing noch einmal von vorn an und wandte sich nur an den Chef und sagte: Mein lieber Freund Zeller. Und dann sprach er davon, daß die Pflanzen lange vor dem Menschen da waren und gut ohne sie ausgekommen sind, weil sie sich immer verwandeln und anpassen konnten, sie waren immer aufgelegt zu Experimenten und deshalb nicht mehr als üblich gefährdet. Ernsthaft gefährdet wurden sie erst, als sich die Menschen die Kontrolle über die Pflanzen verschafften und nur noch an den Ertrag dachten, das ist ganz klar, und sie mußten auch durch Auslese und dergleichen auf größeres Wachstum aus sein, aber dabei sollten sie nicht den schönsten Ertrag vergessen, den uns die Pflanzenwelt gewährt: Freude, diese große unverhoffte Freude, die aus dem Staunen kommt, aus Bewunderung und
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