Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
meinte, daß Frau Sasse es eben gewohnt sei, alles auszusprechen, und daß sie keinen Hehl macht aus ihren Gedanken, auch wenn sie miteinander redeten, sagten sie sich alles, aber auch alles.
    Der Chef hatte nichts dagegen, er bescheinigte Joachim jede Freiheit und Unabhängigkeit, er bestritt ihm nichts und legte ihm nichts nahe, er erbat sich nur eins: daß Frau Sasse nie mehr in der Festung auftauchte, weder in Joachims Begleitung noch allein. Da wollte Joachim wissen, ob das so eine Art Verbot sei, und der Chef sagte darauf, daß er kein Verbot ausgesprochen habe, sondern nur einen Wunsch. Es ging hin und her zwischen ihnen, und auf einmal stand Joachim auf und sagte: Gut, wenn du mir verbietest, einen Gast mitzubringen, der mir besonders nahesteht, dann wirst du wohl auch auf meine Anwesenheit verzichten können, und da der Chef daraufhin keine Antwort gab, fügte Joachim noch hinzu: Dann ist für mich alles klar. Und dann packte er zusammen, was er brauchte, und zog aus. Nachts. Ohne Abschied. Zog aus.
    Bestimmt hätte er auf Gut Bodden wohnen können, wo sie noch mehr Zimmer hatten als in der Festung, aber er wollte es wohl nicht, es schien ihm richtiger, in Hollenhusen zu wohnen, in dem neuen Haus von Kaufmann Tordsen, dort mietete er sich ein und ließ sich von Dorothea besuchen und von Ina, vom Chef bekam er keinen Besuch. Ich möchte nicht wissen, wie oft Dorothea ihn zu überreden versucht hat, wieder nach Hause zu kommen, vermutlich hat sie gelockt und gebettelt, doch er weigerte sich, und sie mußte Tordsens Haus immer allein verlassen.
    Eines Mittags hörte ich, wie Dorothea zum Chef sagte: Willst du nicht mitkommen? Er hat heute Geburtstag. Ich hab daran gedacht, sagte der Chef nur, es liegt ein Päckchen auf meinem Schreibtisch, das kannst du ihm mitnehmen. Mehr sagte er nicht, und Dorothea ging wortlos weg. Oft, wenn ich Joachims Auto sah, saß auch Frau Sasse drin, entweder fuhren sie in Richtung zum Gut Bodden oder sie kamen daher; daß sie gemeinsam ausritten und sich dabei auch bis in unsere Nähe verirrten, das geschah nur selten, mehr als zweimal bin ich ihnen nicht begegnet.
    Aushalten; als ich mir einmal beweisen wollte, daß ich es gegen meine Angst allein im Dänenwäldchen aushalten konnte, in der Dämmerung und bei starkem Wind, da hätten sie mich fast aufgestöbert wie ein Kaninchen. Die tintigen Wolken mit den schlohweißen Rändern. Das Geschiebe am Himmel. Das Wehen und ein anschwellendes Sausen, vor dem man sich gleich ducken wollte. Nachdem ich mich am Ufer des Großen Teichs hingelegt und erst einmal vollgetrunken hatte, wäre ich am liebsten nach Hause gegangen, aber ich wollte mir ein für allemal beweisen, daß ich es allein aushalten konnte, kurz vor dem Fall der Dunkelheit, und so ging ich zu dem Stubben, auf dem auch schon der Chef gesessen hatte, rutschte mich zurecht und lauschte. Was einem da alles in die Glieder fuhr! Ich brauchte gar nicht lange zu warten, bis das Murmeln der verwundeten Soldaten zu hören war, die hier einmal Schutz gesucht hatten, und bei genauerem Lauschen war auch schon das Ächzen zu vernehmen und das Gestöhn und so ein schweres Ausatmen. Das rieb sich, das knirschte und ratschte, eine Säge ging da, eine Zange schnappte, und das Pochen in meinem Kopf, das kam gewiß davon, daß Fäuste auf den Boden schlugen.
    Sie ritten aus der Deckung der Erlen hervor, Frau Sasse zuerst und hinter ihr Joachim, sie ritten ganz langsam das Ufer des Teiches aus, und dort, wo ich getrunken hatte, stiegen sie ab und ließen ihre Pferde saufen.
    Sie standen nebeneinander und blickten auf die Pferde, und dann legte Joachim einen Arm um die Schulter der Frau, zögernd, wie versuchsweise, und da die Frau sich nicht bewegte, sammelte er ihr kurzes dichtes Haar in einer Hand, locker, gerade so, als ob er es wiegen wollte. Er spielte mit ihrem Haar, strählte es ein bißchen, und sie stand immer noch unbewegt da; dann faßte er sie mit beiden Händen an den Schultern und drehte sie zu sich herum, er versuchte, sie an sich zu ziehen, doch er gab es gleich auf, denn die Frau hob schnell eine Hand und setzte ihm die Spitze ihrer Gerte auf die Brust, warnend, mit erhobenem Gesicht.
    Gesagt wurde wohl nichts, sie maßen sich nur mit Blicken, und auf einmal winkte sie knapp, und Joachim legte schon seine Hände zusammen, beugte sich schon dienstbar und half ihr aufs Pferd. Wie sie es herumriß, wie sie aufs Wäldchen, auf mich zuritt, da ließ ich mich schnell vom Stubben

Weitere Kostenlose Bücher