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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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ausgestückt. Daß der Chef nicht viel mit ihr im Sinn hatte, hab ich ihm schon bald angemerkt; wenn einer ihm nicht paßte, dann hatte er eine ganz bestimmte Höflichkeit für ihn übrig, eine erzwungene, aber tadellose Höflichkeit, die bekam auch Frau Sasse zu spüren, aber ihr, die schon zweimal verheiratet gewesen war, machte das nichts aus.
    Gewohnt, überall das Wort zu bekommen, hielt sie sich auch bei uns nicht zurück; was sie fragen wollte, das fragte sie; an Zuhörern hatte sie wohl nie einen Mangel.
    Wie sie mit dem alten Professor aneinandergeriet, das ist mir einfach entgangen, ich bekam jedoch mit, daß sie ihn nach seiner Herkunft fragte, sie meinte, daß sein Name eigentlich ein europäischer Name sei, und als der alte Mann das bestätigte – er sagte: Mein Großvater ist noch in Modlin geboren –, da nickte sie und sagte: Eben. Was gut ist in Amerika, das kommt aus Europa. Professor Gutowski lächelte, er wollte zuerst wohl nicht darauf antworten, doch Frau Sasse gab sich mit seinem zagen Lächeln nicht zufrieden, sie wollte von ihm wissen, was amerikanisch ist in Amerika, und er sagte leise: Vielleicht das Gefühl, unser Lebensgefühl. Sie überging das. Sie ließ sich nicht davon abbringen, daß Amerika das Beste Europa zu verdanken hat, den vielen Auswanderern, ihren verschiedenen Kenntnissen und Fähigkeiten, ihrer Kultur, ihrem Sinn für Geschichte, sie sagte: Sinn für Geschichte.
    Je ausdauernder der alte Professor schwieg, desto kiebiger redete sie, sie war selbst einmal in Amerika gewesen, ihr waren Städte und das Land bekannt – was allein sie versöhnt hatte mit dem Kontinent des Faustrechts, das waren die Zeugnisse europäischer Herkunft, das europäische Erbe.
    Ich sah schon, daß der Chef unruhig wurde, er kippte sein Glas und schenkte sich gleich nach, unwillkürlich schob er sich an Frau Sasse heran, bereit, selbst etwas zu sagen, aber der alte Mann, der das bemerkt hatte, winkte leicht ab und sammelte sich und sagte ganz ruhig, daß ihm fast alles bekannt sei, was gegen Amerika vorgebracht werde, fast alles, und zwar überall. Manches habe ihm zu denken gegeben, das schon, aber bei allem frage er sich, wie es wohl komme, daß Amerika für viele in der Welt ein Name der Hoffnung und Ermutigung sei; übel beredet, schwarz gemalt und noch und noch beschuldigt, stelle es dennoch für viele eine Stärkung und Bestätigung dar, vor allem für jene, die entbehren müssen, worauf jeder Mensch einen Anspruch hat. Er habe das zum Beispiel vor gar nicht langer Zeit aus der Heimat seines Großvaters erfahren, sagte er, und er sagte auch noch: Wir sind verläßliche Schuldner. Da mischte der Chef sich ein, reichte dem Professor schon ein Glas und forderte ihn auf, endlich mit ihm zu trinken.
    Der Auszug, nie hätte ich es gedacht, daß Joachim noch in jener Nacht aus der Festung ausziehen würde, ich stand meist für mich und aß die Schnitten, mit denen Ina mich versorgte, trank den Saft, den sie mir einschenkte, und Joachim, wo und mit wem ich ihn auch sah, kam mir nicht anders vor als sonst, er legte weder seine Heiterkeit ab noch seine Überlegenheit. Vermutlich ahnte er selbst noch nicht, was sich da vorbereitete, er bemühte sich unentwegt um Frau Sasse, war glücklich, wenn er ihr einen Gefallen tun konnte, freute sich, wenn Dorothea mit ihr sprach. Auch als ich fortging – und ich ging als erster –, hätte ich mir niemals träumen lassen, daß Joachim schon am nächsten Tag nicht mehr in der Festung sein würde. Wer nach mir als nächster ging, weiß ich nicht, aber ich weiß von Magda, daß zuletzt nur noch der Chef und Joachim übrigblieben, Magda sagte, daß es kein Zufall war, sie glaubte, daß der Chef auf Joachim gewartet hätte, der Frau Sasse unbedingt nach draußen und ein Stück bringen mußte.
    Erregt sollen sie kaum gewesen sein, geschrien hat keiner. Der Chef brachte Joachim bei, daß er sich zum ersten Mal in seinem Leben bei einem Gast entschuldigt hatte, und zwar für einen anderen Gast, der in seiner Überheblichkeit die einfachsten Gesetze der Gastfreundschaft verletzte und sogar noch Vergnügen daran fand. Joachim gab sich überrascht, verstand nicht oder wollte nicht verstehen, und da erinnerte ihn der Chef an das Betragen von Frau Sasse und hielt ihm noch einmal vor, was sie von sich gegeben und wie sie den Freund, den Ehrengast, herausgefordert hatte ohne Grund. Darauf ließ sich Joachim gleich etwas zur Verteidigung einfallen, er verharmloste das Gesagte,

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