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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hinabkamen, da ging sie ihnen entgegen, und bevor noch etwas gesagt wurde, erkannte sie schon, daß einer bald wieder einziehen würde bei uns, doch an dem Tag, an dem er dann schließlich zurückkehrte, war der Chef nicht zu Hause, es kam ihm gewiß gelegen, daß er da nach Elmshorn mußte.
    Wenn ich nur wüßte, wann Ewaldsen endlich fertig ist und mich abholt, es reicht doch, wenn er eine vorläufige Schadensliste abgibt, da ist doch nicht soviel zu übertragen, zu berechnen, aber ich ahne es schon, ich kann mir denken, daß er mich wieder einmal vergessen hat, einfach hat sitzenlassen wie so manches Mal. Einmal sagte er zu mir: So ist das eben mit dir, Bruno, man merkt gar nicht, daß du einem fehlst. Auf dem Wasserkasten sitzt er nicht mehr, zum Hauptweg ist er auch nicht gegangen, vielleicht hat er sich mal in die Koniferen verdrückt und wird gleich wieder herauskommen, es sind die Koniferen aus der Flasche, wie der Chef sie genannt hat, denn er hat ihr Saatgut mit Holzkohlenpulver vermischt und in Flaschen ruhen lassen, und was kaum einer bei uns glauben wollte: die Keimkraft erhielt sich drei Jahre lang.
    Was leuchtet da, was reißt und ratscht da, das kann nur Ewaldsen sein, ich weiß schon, ich seh, er reißt einen Fallschirm entzwei, zerlegt ihn in Stücke, also hat er doch noch einen gefunden und für sich auf die Seite geschafft; es ist die beste Seide, die es überhaupt gibt, hat er gesagt. Mit seinem Messer schneidet er die Seide an, und dann reißt er, zuerst ruckweis und zuletzt gleichmäßig bis zur äußersten Öffnung seiner Arme, es sirrt, wenn die Seide kaputtgeht, sirrt wie ein Gummirad auf nassem Asphalt.
    Hast du mich erschreckt, sagt er, und sagt: Warum schleichst du dich immer an, und ohne mich zu beachten, bemißt er eine Bahn und wickelt sie sich um seinen Körper; vermutlich hat er sich schon etliche Bahnen umgewickelt, wenn er die Joppe darüberzieht und sie zuknöpft, wird keiner erkennen, daß er einen zerrissenen Fallschirm bei sich hat. Los, Bruno, nimm dir auch ein Stück, das ist vom Himmel gekommen, darum gehört es uns. Es ist kostbares Zeug, man kann es gut verschenken. Halt, halt, sage ich, aber er hat bereits mein Hemd hochgeschoben und wickelt mir einen Streifen Seide um die Hüften, reißt noch eine Bahn ab und wirft sie mir zu: nu mach schon, Bruno, und ich ziehe den Stoff stramm und klemme die Enden in den Hosenbund. Die Gurte und Stricke dürfen hier nicht liegenbleiben, sie könnten uns verraten eines Tages. Das hab ich kaum gedacht, da sagt Ewaldsen auch schon: Den Rest hier, Bruno, den wirst du eingraben, aber nicht so eben verscharren, sondern tiefer, als der Pflug geht. Ja, sage ich, und nun geht er, und ich spüre, wie mich die Fallschirmseide einschnürt.
    Erst einmal ist Essenszeit, vergraben kann ich die Überbleibsel auch später, erst einmal geht Bruno zum Essen, doch Magda wird nicht gleich erfahren, was ich für sie unter dem Hemd trage, weiß und glänzend, das wird sie nicht. Abends ja; wenn sie kommt, werde ich sie raten lassen, was ich an mir trage, und wenn sie lange genug vorbeigeraten hat, werde ich sie auffordern, mich auszupellen. Magda wird auf den ersten Blick erkennen, daß dies die beste Seide ist, die es gibt. Mißtrauisch, wie sie mir gegenüber von Zeit zu Zeit ist, wird sie wohl zunächst wissen wollen, wo ich den kostbaren Stoff herhabe, und ich werde ihr erzählen, daß er vom Himmel gefallen ist, und das wird die Wahrheit sein.
    Rosenkohl, ich rieche schon den Rosenkohl, über den Magda immer ein bißchen Muskat reibt, dazu wird es wohl Karbonade geben und Kartoffeln mit Buttersauce, ich hoffe nur, daß sie diesmal den Fettrand drangelassen hat an der Karbonade. Die Küchenklappe ist offen, Magdas Gesicht erscheint wie eingerahmt, sie guckt nicht freundlich, guckt so, als ob Lisbeth ihr das Seufzen und die Strenge vererbt hätte: Kommst du endlich, ja? Ich darf ihr kein Zeichen geben, hier soll jeder glauben, daß wir uns nichts angehen, auch wenn wir allein sind, darf ich ihr nicht zuzwinkern, und berühren darf ich sie schon gar nicht. Ob ich mir die Hände gewaschen habe: das fragt sie ebenso automatisch wie Lisbeth, mein Teller steht bereits auf der Wärmeplatte, großzügig hat sie ihn nicht aufgefüllt, diesen Teller hätte auch Lisbeth gefüllt haben können, sie, die mich so oft Vielfraß genannt hat. Wie sie über mich hinwegsehen kann, wenn sie mir den Teller hinsetzt, wie sie darauf bedacht ist, mir ja nicht zu nahe zu kommen.

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