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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Am liebsten möchte ich mein Hemd aufknöpfen und sie einmal ganz schnell auf das Weiße, Leuchtende sehen lassen, aber damit würde ich unsere Abmachung verletzen.
    Es gab wohl viel Aufregung draußen, sagt sie, und mehr sagt sie nicht und dreht schon wieder ab. Da ist allerhand vom Himmel gefallen, sage ich, Soldaten an Fallschirmen, die warf der Wind in unsere Quartiere, viel ist zu Bruch gegangen, aber wir haben die Schäden genau registriert. Sie nickt mir durch die Klappe zu, wendet sich ab, ist wieder bei ihrer Arbeit; ich möchte ihr noch mehr erzählen von den Flugzeugen und dem Schweben über uns, aber ich müßte dann jedes Wort laut hinüberrufen, und das will ich lieber nicht, und sie will es auch nicht. Hoffentlich kann ich noch Kartoffeln und Sauce nachbekommen.
    Das kann nicht sein, ihm wird doch alles nach oben gebracht, der Chef wird sich wohl verirrt haben, früher, da ist er ab und zu hier hereingeschneit, aber seit langem nicht mehr. Der Chef hat dasselbe Zeug an wie vorher in den Quartieren, er grüßt mich mit einer Handbewegung, er sagt: Laß es dir schmecken, Bruno, und vor der Küchenklappe sagt er: Nur geriebene Äpfel, wie immer, und nun dreht er sich um und kommt zu mir und setzt sich ohne ein Wort. Selbst wenn er sich im Dunkeln neben mich setzte, ich wüßte sofort, daß er es ist, ihn spüre ich einfach. Müde wischt er sich übers Gesicht, drückt leicht auf seine Augen. Sein Schnappen. Das kleine, klappende Geräusch seiner Zähne. Das schwache Lächeln, das wohl aus einer Erinnerung kommt. Er starrt auf meinen Teller, er fragt plötzlich: Reicht das denn, Bruno? Und zur Küchenklappe hin ruft er: Gibt’s noch etwas für Bruno? So ist er, immer hat er an mich gedacht, selbst wenn er vieles bedenken und regeln muß, vergißt er nicht, daß es bei mir etwas länger dauert, bis ich satt werde. Seine Taschenflasche mit Wacholder: Auf dein Wohl, Bruno, willst du auch mal probieren? Nein, nein.
    Behutsam setzt Magda ihm die Glasschüssel hin, und er ißt gleich los und schnappt jedesmal nach dem Löffel, er führt den Löffel nicht zum Mund, sondern schnappt nach ihm mit geschlossenen Augen, das hat er sich wohl erst in der letzten Zeit angewöhnt. Wie gleichgültig er schluckt, da sieht man, daß es ihm keine Wohltat bereitet, etwas zwischen den Zähnen zu haben, er nimmt sich nicht die Zeit, zu schmecken, läßt den geriebenen Apfel mit Sahne und Zimt nur den alten Hals hinabfahren – er, der mir einmal gesagt hat, daß es schlimm ist, wenn wir dem Essen keinen Geschmack mehr abgewinnen können. Schneller als er könnte ich auch nicht fertig werden mit der Apfelspeise, er steht schon auf, bestimmt hat er Wichtiges zu erledigen, jetzt, wo die meisten gegen ihn sind; ich möchte ihm etwas sagen, ihm etwas versprechen, aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
    Sein freundlicher Stups gegen die Schulter. Siebenmal klopfen, nicht, Bruno? Ja, sage ich. Ich komme gewiß mal vorbei. Der Schluckauf, ausgerechnet nun muß sich mein Schluckauf melden, das hickst schon und reißt den Kopf zurück, ich kann nicht alles verstehen, was er sagt. Also glätten, er will etwas leidlich einrenken, weil er einem Besucher den Stuhl vor die Tür gesetzt hat, einem vom Gericht, der angeblich herausgekommen ist, um sich mit ihm zu unterhalten, in Wahrheit jedoch nur ein bißchen herumschnüffeln wollte. So weit sind wir, Bruno, da kreuzt einer auf, um mich unter die Lupe zu nehmen, vielleicht, um zu begutachten, wie hinfällig ich bin, und das in öffentlichem Auftrag; ich habe dem Herrn gesagt, was zu sagen ist, knapp, und danach hab ich ihn verabschiedet. Es ist anzunehmen, sagt der Chef, daß er jetzt bei Joachim hockt und da Bericht erstattet.
    Wissen, er muß wissen, daß er sich auf mich verlassen kann, was ich ihm versprochen habe, habe ich gehalten, nichts ist unterschrieben, und Auskunft gegeben hab ich keinem. Ich sage: Was ich versprochen hab, das habe ich gehalten. Er nickt mir aufmunternd zu, er weiß es, er weiß alles über mich. Er stellt die Glasschüssel vor die Küchenklappe, er ruft Magda einen Dank zu, vergißt nicht, sie daran zu erinnern, daß ich einen Nachschlag haben muß, und mehr sagt er nicht und geht hinaus wie einer, der Gründe für seine Zuversicht hat.
    Wer nicht siebenmal klopft, dem werde ich nicht aufmachen, es kann sein, wer will, und wer mich ausfragen will, für den werde ich nichts wissen. Wenn schon einer kommt, um den Chef zu begutachten, dann werden sie auch bald

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