Lenz, Siegfried
all die Kenntnisse und Erfahrungen ausspielte, die er von weither mitgebracht hatte, vom Rand der Rominter Heide, und bei seinem Zutrauen und seiner Unbeirrbarkeit zweifelte ich nicht, daß ihm gelingen würde, was er sich vorgenommen hatte.
Einmal sagte er: Wie du siehst, Max, hab ich so meine Hoffnungen; ich hätte das Land auch für achtundvierzig Jahre kriegen können, aber das war mir zu wenig, ich erhöhte auf neunundneunzig und sicherte mir das Vorkaufsrecht. Und dann trank er zwei kleine Schlucke aus dem Fläschchen und sagte noch: Das Land, Max, Sicherheit gibt uns nur das Land. Jetzt wandte Max ihm das Gesicht zu und sah ihn verwundert an, nicht anders, als ob er sich gerade verhört hätte, er sah ihn so lange an, bis der Chef fragte: Hab ich nicht recht? Da schüttelte Max nur den Kopf und sagte: Denk an Großvater; und das war schon alles. Mir entging nicht, daß der Chef immer nur zu Max hinsprach, auch wenn er an ihm vorbeiblickte über das verschattete Land, ich spürte, wie er ihn anstecken wollte mit seiner Begeisterung, es war das letzte Mal, daß er so sprach, von der großen Aufgabe und der Zukunft und davon, daß man gemeinsam nicht zu schlagen wäre und daß eines Tages alles weitergegeben und übernommen werden könnte, es war wohl das letzte Mal; zum Schluß fragte der Chef: Was meinst du, Max?, und Max sagte leise: Jeder muß wohl das Instrument spielen, das für ihn gemacht ist. Das hat er gesagt.
Ich brauche nur daran zu denken, dann werde ich schon traurig, und ich sehe den Chef aufstehen und aus dem Fenster gucken; ein paarmal ließ er seine Hand auf den Rand der Schreibplatte fallen, sein Atem ging gepreßt, seine Augen wurden schmal, und ich erkannte, wieviel es ihm ausmachte, alleingelassen zu sein, und wie sehr er sich anstrengte, mit seiner Enttäuschung fertigzuwerden. Es schien ihm nicht zu gelingen; er, der sich kaum jemals mit etwas abfinden wollte, schien sich auch diesmal nicht mit der Antwort von Max abfinden zu können. Langsam ging er vom Fenster weg. Er öffnete die Ofenklappe und schmiß sie zu. Er griff sich ein Stück Feuerholz, wog es in der Hand und warf es zurück. Einem der Kartons, der unter dem eisernen Bettgestell hervorstand, gab er einen kleinen Spickfuß, so daß er zurückschorrte. Ich war ganz still vor Furcht. Nickend musterte er dann den geteilten Barackenraum, unsere Lager, die Rucksäcke, die Kartons, die Kiste und den Seesack, die alles enthielten, was ihnen noch geblieben war, was der Krieg ihnen gelassen hatte, und plötzlich sagte er: Na gut, mein Junge, und dann ging er. Wir warteten, aber er kam nicht unterm Fenster vorbei; Ina und Joachim, die ihm auf ein Zeichen von Dorothea folgten, kamen auch nicht unterm Fenster vorbei, nur ihre Stimmen waren einmal zu hören, als sie an der Gemeinschaftswasserleitung naßgespritzt wurden.
Ich weiß nicht, ob Dorothea Max trösten oder nur beschwichtigen wollte, sie stellte sich hinter ihn, beugte sich zu ihm hinab und begann zu flüstern, und ich machte keinen Versuch, zu verstehen, um was es ging, weil es nicht für mich bestimmt war. Am liebsten wäre ich hinausgegangen, aber damals hatte ich oft Angst vor einem Jungen, der die Schlechtigkeit schon im Blick hatte, Heiner Walendy hieß er, er hatte schon einmal Feuer gelegt. So blieb ich. Ich rührte mich nicht auf meinem Strohsack, schloß die Augen und dachte an den Großen Teich und an das Knarren und Quaken der Frösche dort, und bald wurde es so laut in meinem Kopf, daß ich mir die Ohren zuhalten mußte. Aber dann hörte ich doch, wie Max mal wieder Dorotheas Hände rieb, er mußte es oft tun, auch im Sommer, weil Dorothea oft an den Händen fror und kein Gefühl mehr in den Fingern hatte, manchmal rieb Max so heftig, daß Dorothea lachend protestierte. Ich hätte ihr auch gern die Hände warm gerieben, doch sie bat mich nie darum, und von mir aus wagte ich es nicht, ihr das anzubieten.
Als sie sich einig waren, hat sie Max wieder allein gelassen, und sie hat sich hingekniet und den Karton unter dem Bettgestell hervorgezogen, vermutlich, um nachzusehen, wieviel er abbekommen hatte durch den Fußtritt des Chefs. Sie hat den Deckel abgehoben und allerlei Papiere und Brieftaschen herausgenommen, auch zwei bemalte hölzerne Vögel hat sie hervorgeholt, die an einem Stab aufgehängt waren; schließlich geriet sie an das Album, in dem sie gleich blättern mußte, vor und zurück, mal ungläubig, mal erheitert. Was sie da wiederfand, hat sie so erfüllt,
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