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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Stimme sagte: Du nicht, unser Land ist für unsere Leute, wir werden schon zwei finden, die es übernehmen wollen. Ich sah auf seine krummen, unruhig zuckenden Finger und wußte, daß ich mich nicht verhört hatte, es war seine Stimme, die nach innen sprach.
    Daß der Chef nichts mitbekommen hatte, konnte ich zuerst gar nicht glauben, aber es war so, er war auf dem Heimweg ganz still vor Enttäuschung, weil er anerkennen mußte, daß es vor ihm noch zwei andere Interessenten gab, und er war schon nahe daran, auf alles zu verzichten. Weil ich mehrmals pinkeln mußte, blieb ich immer zurück, doch sobald ich ihn eingeholt hatte, wiederholte ich, was ich wußte, wiederholte nur die Worte, die die Stimme gesagt hatte, und zuletzt ist er stehengeblieben, hat mich grüblerisch angesehen und sich leicht auf die Unterlippe gebissen, und dann hat er gesagt: Ich glaube dir, Bruno, seltsam, ich hab das Gefühl, daß du recht hast; wir geben nicht auf. Er war sehr ernst. Er legte seinen Arm auf meine Schulter, und wir haben einen Umweg zur Holle gemacht, dort saßen wir im Ufergras, und der Chef erzählte von den Quartieren am Rand der Rominter Heide und von seinem Vater, der einen großen Fehler gemacht hatte, weil er sich spezialisierte, auf Großbäume spezialisierte. Wir, Bruno, hat der Chef gesagt, wir werden das nicht tun, und er hat mir zugenickt, als ob er schon gewonnen hätte.
    Jetzt sind da schon fünf auf dem Bahnsteig, und ich verstehe nicht, warum sie so verdrossen und enttäuscht aussehen. Zwanzig Minuten Verspätung, hat der Mann in der Uniform gesagt, da kann man sich doch auf eine der Bänke setzen und sich alles mögliche vorstellen: was man vom Abteilfenster sehen wird und wie die Geschenke gefallen werden, dort, wo man ankommt, und was es zu essen geben wird. Ich warte gern, Warten ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Hier kann ich für mich allein sitzen und in die Richtung sehen, aus der Max kommen wird, und ich brauche nicht einmal die Augen zu schließen, damit er schon da ist, damit ich mir aussuchen kann, wie er mir entgegenkommt, bedrückt und schweigsam oder mit seinem traurigen Lächeln, das er für alles übrig hat. Die Luft zittert über den Gleisen, noch ist der Zug nicht zu hören, doch ich sehe Max schon, halte seine Hand, frage ihn schon mit den Augen ab.

Hier ist er plötzlich stehengeblieben, hier, beim neuen Geräteschuppen, und als ich dachte, daß er sich nur ein wenig ausruhen wollte, nahm er mir die Reisetasche aus der Hand und sagte: So, Bruno, nun geh ich besser allein, und er ist mit dem schweren Koffer – den er unbedingt selbst tragen wollte – und der Reisetasche den Hauptweg hinaufgegangen zur Festung, ohne sich auch nur einmal nach mir umzudrehen. Diesmal hat er nicht gefragt: Alles im Lot in Hollenhusen?, auch den Koffer wollte er mir nicht wie sonst überlassen, obwohl er doch weiß, daß ich mehr wegtragen kann als jeder hier, wenn es darauf ankommt. Fülliger ist Max geworden, sein Kinn drückt schon auf das quellende Fleisch, sein Riemen schneidet unterm Bauchnabel in den massigen Leib, und wenn er geht, muß ich an eine Ente denken. Viel zu sagen hatte er nicht; er wollte sich nur rasch davon überzeugen, daß ich noch der alte war, dann nickte er schon über die Gleise hinüber und ging mir voraus auf dem verbotenen Weg. In unseren Quartieren allerdings, da blieb er öfter als sonst stehen, und ich weiß nicht, ob er nur Atem holen wollte oder sich auf etwas besann, etwas wiederzufinden suchte. Ich wagte es nicht, das Marzipanbrot zu essen, das er mir auf dem Bahnsteig geschenkt hatte; solange er in seiner Nachdenklichkeit verharrte, wagte ich es nicht. Über den Chef sagte er kein Wort, wir beide erwähnten ihn einfach nicht, und je länger wir über ihn schwiegen, desto heftiger mußte ich an ihn denken, an den Mann, der mich seinen einzigen Freund genannt hat.
    Sie fanden wohl nicht zueinander, Max und der Chef, anfangs nicht und zuletzt nicht, sie trieben auseinander wie Flöße, die von verschiedenen Winden erfaßt worden sind, und ich war viele Male traurig darüber, daß es dem Chef nicht gelang, Max auf seine Seite zu ziehen, trotz aller Bitten und Vorstellungen und aller Aussprachen, die sie auch dann führten, wenn ich dabei war.
    Aber eines Tages hat der Chef es aufgegeben, und es war kein beliebiger, es war sein glücklichster Tag, wie er selbst gesagt hat – jener Freitag, an dem er den Pachtvertrag für den ganzen Exerzierplatz unterschrieb,

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