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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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einschließlich des feuchten Landes, das bis an die Holle reicht. Es gab Rührei mit Speck und Bratkartoffeln, er hatte es sich selbst gewünscht, und ich weiß noch: in meiner Vorfreude kletterte ich in die alte Föhre hinauf, um ihm entgegenzusehen, um ihm als erster zuzuwinken, sobald er auf der kleinen Brücke auftauchte, an meinem Kaddikstock baumelte ein weißer Lappen. Ich saß gern in der Föhre; wenn sie mich verspotteten oder verfolgten, kletterte ich bis zu den höchsten tragenden Astgabeln hinauf, keiner der Jungen aus den Nachbarbaracken wagte es, mir dorthin zu folgen, die Zweige verdeckten mich, und ich konnte es lange aushalten in meinem grünen Versteck, so lange, bis meine Angst sich legte. Der Chef wußte sofort, daß ich es war, der da hoch in der Föhre den Lappen schwenkte, er winkte von der Brücke zurück, nein, er winkte nicht, mit seiner hochgestreckten Faust machte er so einige Hammerschläge in die Luft; da erkannte ich, daß alles nach seinem Willen gegangen war. Ich lief ihm entgegen, er wischte mir übers Haar, seine Hand legte sich wie eine Klemme um meinen Nacken, und wenn ich aufblickte zu ihm, sah ich auf seinem breiten, straffen Gesicht nichts als grimmige Zufriedenheit. Es war gar nicht leicht, seinen Schritt aufzunehmen, ich zuckelte nur neben ihm her, mitunter glaubte ich, daß er mich vergessen hatte, aber bei dem eingegrabenen Übungspanzer, in dem ich die drei Vogelskelette fand, blieb er plötzlich stehen, sah mich lange an und sagte: Du hattest recht, Bruno, tatsächlich, es war gut, daß ich auf dich gehört habe. Das hat er gesagt, und dann sind wir nach Hause gegangen und haben gegessen, und nach dem Essen legte er den Pachtvertrag auf den Tisch, der auf neunundneunzig Jahre lautete und dem Chef das Vorkaufsrecht für das ehemalige Soldatenland einräumte. Dorothea hat ihn zuerst gelesen, man konnte ihr ansehen, wie sehr sie sich freute, doch es war eine zage Freude, das weiß ich noch, und während Joachim und Ina dann den Vertrag beguckten, hat sie aus einem Karton kleine lederne Beutel hervorgekramt, drei oder vier Beutel, in denen geflügelter Samen von Koniferen, aber auch von Laubgehölzen drin war. Von zuhause, sagte sie, ich mußte sie einfach mitnehmen. Der Chef hat sie nur entgeistert angesehen, dann hat er sich ein paar Samen auf die Hand gekippt und sie ins Licht gehoben und festgestellt: Die sind keimfähig, und wenn sie noch ein paar Jahre liegen sollten.
    Ich merkte schon, wie er immer wieder zu Max hinsah, der sich gleich nach dem Essen ruhig an seine Schreibplatte gesetzt hatte und da etwas aus Büchern herausschrieb und miteinander verglich, und auf einmal nahm der Chef den Pachtvertrag und legte ihn vor Max hin, legte ihn einfach auf den Schreibblock und die aufgeschlagenen Bücher und fragte sehr freundlich: Willst du nicht mal einen Blick draufwerfen, Junge? Das hab ich mitgebracht, jetzt haben wir es geschafft. Max nickte und fing an zu lesen, und der Chef angelte sich einen Hocker und setzte sich ebenfalls an die Schreibplatte, holte aus der Brusttasche ein Fläschchen heraus und stellte es aufs Fensterbrett. Weil Max so lange las, glaubten wir schon, daß er wieder mal einen Fehler entdeckt hatte – er braucht sich ja nur etwas unter die Augen zu halten, dann weiß er gleich, was nicht stimmt, nicht zusammenpaßt –, aber am Pachtvertrag hatte er nichts auszusetzen, er fand ihn gelungen, ja, das sagte er: ein gelungener Vertrag. Da Max nicht mittrinken wollte, trank der Chef allein, und er blickte hinaus auf das Land, das er übernommen hatte und freute sich. Ob ihr’s glaubt oder nicht, sagte er, das ist einer der glücklichsten Tage meines Lebens. Und er hat auch gesagt: Wir werden es ihnen zeigen, jetzt, wo der ganze Mist vorbei ist, wir werden ihnen zeigen, was sich aus diesem Land machen läßt, das nur Kommandos und genagelte Stiefel kennt; und dann hat er uns gesagt, was alles entstehen würde mit der Zeit, nach seinen Plänen, nach seinen Wünschen.
    Alles war fertig in seinem Kopf, und als er das Land einteilte und bestimmte, sah ich schon die jungen Quartiere, bis zum Horizont standen die Gehölze, liefen die Saatbeete, ich sah die Schuppen und das Gewächshaus dort, wo er sie haben wollte, Wege zeigten sich, ganze Schulen von Pflanzen, die nach seinem Willen wuchsen, und alles wurde von einem dunklen, schützenden Band umschlossen, der Windhecke. Ich war ganz aufgeregt, als er den Exerzierplatz nach seinen Plänen verwandelte, als er

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