Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
stieß auf, bevor er zurückfiel auf seinen Strohsack, grummelte er etwas, und das hörte sich an wie: Morgen geht es los, morgen. Kaum lag er unter der Decke, da schlief er auch schon ein, und Max, der immer nur kopfschüttelnd zugeguckt hatte, sagte zu Dorothea: Das ist ja eine schöne Bescherung, worauf Dorothea ihn aus schmalen Augen musterte und sagte: Tu ja nicht so überheblich, davon begreifst du nichts, du weißt nicht, was er auf sich genommen hat – für uns alle.
    Das war damals, als er den Pachtvertrag für neunundneunzig Jahre unterschrieb und zum letzten Mal mit Max über das Land sprach, für das er sich das Vorkaufsrecht gesichert hatte.
    Wenn ich nur bei ihm bleiben kann, bei ihm. Er kann doch nicht aufhören zu arbeiten, auch wenn sie ihn entmündigt haben, vielleicht werden sie ihm etwas ausstücken, das feuchte Land an der Holle vielleicht, das er dann nach eigenem Ermessen bearbeiten darf, das saure unbenutzte Land, aus dem nur er einen Garten machen kann, über den alle staunen. Ich könnte mit ihm anfangen wie in der Barackenzeit, ich könnte ihm bei der Drainage helfen und beim Roden und Kultivieren und Düngen, wir hätten etwas für uns allein, und sein Wissen brauchte nicht brachzuliegen.
    Doch wer weiß, was Max dazu sagen wird, den sie so eilig gerufen haben, diesmal war er anders als sonst, er wollte mit dem schweren Koffer allein gehen das letzte Stück, und er hat nicht gefragt: Alles im Lot in Hollenhusen? Auch von der Gerichtslinde hat er nichts gesagt und davon, daß ich ihn dorthin begleiten soll, wo wir früher so viele wichtige Dinge besprochen haben, wo er einmal sagte, daß nur das wichtig ist, was wir für wichtig halten. Aber vielleicht kommt er ja noch, und darum will ich lieber bei den Geräten bleiben, hier, wo er mich stehenließ.

Das ist das Eisen, das zur Mittagspause ruft, Ewaldsen schlägt es oder der launische Löbsack, das an einem Strick hängende Eisen, dessen schwingende Töne jeden finden, selbst wenn er in der Sandgrube arbeitet oder im Gewächshaus, sogar im Dänenwäldchen kann man bei Ostwind hören, daß hier Mittag geschlagen wird. So hoch, so durchdringend sind die Töne, daß es weh tut, wenn man in der Nähe des Eisens ist, und manchmal spüre ich auch, wie meine Haut ganz heiß wird und so ein Druck auf die Schläfen kommt, gerade, als möchte da etwas zerspringen. Dabei ist es nur ein Stück von einer abgefahrenen Schiene, das frei an der Seite des Schuppens hängt. Am liebsten möchte ich gleich losrennen, an den Rhododendren vorbei zur Festung und durch den Nebeneingang zu meinem Tisch, aber bestimmt wird dann die alte Lisbeth gleich wieder raunzen: Typisch, der Vielfraß ist der erste, und darum will ich erst die Drillmaschine fertigmachen, bevor ich hinübergehe. Daß ich im Vorraum zur Küche essen darf, kann ich nur dem Chef verdanken, er selbst hat es verfügt, und ein paarmal, wenn er naß war vom Regen oder wenn er zuviel Erde an den Sachen hatte und alles schnell gehen sollte, hat auch er hier gegessen, in diesem Raum, der hellblau gefliest ist bis in Augenhöhe, und wo alles gewaschen wird, das nachher auf den Tisch kommt. Mir würde es dort noch besser schmecken, wenn Lisbeth mich nicht immer unter Beobachtung hätte, kaum habe ich mich an den Tisch gesetzt, kaum hat Magda mir den Teller hingestellt, da öffnet sich schon die breite Klappe, und Lisbeth dreht sich auf ihrem Stuhl so, daß sie mich im Auge hat, und sie guckt nie anders als düster und übellaunig. Obwohl sie so schwer ist und so kurzatmig, daß sie kaum noch gehen kann, wird sie nur ganz selten krank, in ihrem Gesicht hängt alles und schlackert und ist faltig, und wenn sie spricht, orgelt es aus ihrer Fülle herauf, daß man erschrecken könnte. Einmal hab ich gesehen, daß sie auf zwei Stühlen saß. Gegen sie, da wagt keiner etwas zu sagen, auch Magda nicht, die sie mitunter anfährt und zurechtweist, denn alle wissen, daß Lisbeth schon früher bei der Familie des Chefs war, in jener Zeit, als sie noch am Rande der Rominter Heide lebten, bis auf die Jahre, die sie im Gefängnis war, hat sie immer für die Zellers gearbeitet, und als sie eines Tages in Hollenhusen auftauchte, hat der Chef sie gleich hierbehalten, nicht anders, als hätte er auf sie gewartet.
    Sie hat gar nicht geraunzt diesmal, sie hat nur genickt auf meinen Gruß und sitzt jetzt die ganze Zeit auf ihrem Stuhl vor dem Herd, rührt und schmeckt ab und hat kaum ein Auge für mich. Auch den Teller ließ

Weitere Kostenlose Bücher