Lenz, Siegfried
Chef und wieder mich, ohne zu erreichen, was er wollte, denn auf einmal sagte der Chef: Bruno gehört dazu, also red schon. Und dann fing er an zu reden, stockend, aber mit zurechtgelegten Worten, er eröffnete uns gleich, daß er die Garantiebestätigung für anerkanntes Saatgut nicht bekommen habe, da sei eine Kontrolle gewesen bei seinem Freund in der Hollenhusener Klenge, kürzlich erst, und bei dieser Kontrolle habe man so einiges entdeckt.
Der Chef schwieg. Eine staatliche Kontrolle, bei der man herausbekommen habe, daß Peter Landeck ganz schön in Schwierigkeiten steckte und daß er, um mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, nach Rumänien gefahren sei und dort Saatgut eingekauft habe, günstig. Der Chef schwieg. Was Peter Landeck dort eingekauft habe, das sei später vermischt worden mit anerkanntem Saatgut, einen Unterschied habe keiner festgestellt, weder die in Elmshorn noch die in Pinneberg, die alle beliefert worden waren. Da sagte der Chef: So ist es, viele von uns wurden von deinem Freund beliefert. Auf Joachims Entschuldigung gab er nichts, er nickte nicht einmal, und er sah ihn auch nicht an, als er ruhig erklärte, daß die in Elmshorn und Pinneberg und andernorts schon den Brief von der Behörde hätten, die Verfügung, alles umzupflügen und zu vernichten, was aus einem Saatgut unbekannter Herkunft gekommen sei, vornehmlich aus der Klenge in Hollenhusen. Millionen, sagte er, es sind einige Millionen Bäume. Eine abermalige Entschuldigung wollte der Chef gar nicht zu Ende hören, er unterbrach Joachim, er sah ihn jetzt fest an und entschied: Ab heute hast du mit dem Saatgut nichts mehr zu tun, und leise sagte er noch: Wir haben sie noch nicht, die Verfügung, aber vielleicht kannst du dich schon mal hinsetzen und den Schaden ermitteln, für alle Fälle. Danach ging er weg, ließ Joachim stehen und ging weg, und ich wußte zuerst nicht, was ich tun sollte, aber schließlich lief ich doch dem Chef hinterher, und als ich zu ihm aufgeschlossen hatte, hörte ich ihn murmeln, er sprach mit sich selbst, keineswegs hilflos und verzagt, sondern entschlossen und selbstbewußt und mit drohendem Unterton. Einmal war es mir, als ob er sagte: Mit uns könnt ihr das nicht machen.
Der Brief der Behörde kam mit Verspätung, ein länglicher Brief, den der Chef immer bei sich trug, ein paarmal las er ihn Männern am Telefon vor – zumindest hatte er ihn vor sich liegen, während er telefonierte –, und einmal gab er ihn unvermittelt auch mir: Lies das mal, Bruno. Und ich las und konnte nicht glauben, daß sie von uns verlangten, den ganzen Bestand zu vernichten, sie wiesen uns an, unsere mehr als hunderttausend jungen Eichen umzupflügen und zu verbrennen, und als ich sagte: Das dürfen die doch gar nicht, meinte der Chef nur: Sie hocken auf ihren Bestimmungen, und die geben ihnen das Recht. Seine Empörung, seine Fassungslosigkeit. Sein Trotz und dies Glimmen in der Tiefe seines Blicks: ich sah, daß er nicht bereit war, alles nach ihrem Willen zu tun, und als er mir zuzwinkerte und zu seinem Büro ging, hätte ich ihn am liebsten begleitet, einfach um mitzuerleben, wie er sich gegen die Bestimmungen wehrte.
Mein Plan; allein im gefährdeten Quartier, hat Bruno sich damals einen Plan ausgedacht: ich nahm mir zum ersten Mal vor, ein Stück Land nur für mich zu erwerben, das feuchte Land, ich wollte es dem Chef abkaufen, ich war bereit, ihm all mein Geld zu geben – und was an der Kaufsumme fehlte, das sollte er mir vom Lohn abziehen, jahrelang –, und dann wollte ich es auf meine Art drainieren und düngen und bereit machen für mein Kümmerwäldchen, denn in ihm sollte nur das wachsen, was minderwertig und unverkäuflich war, das Krüppelwüchsige, das Mickrige, das Ausgesonderte und Herkunftslose, den ganzen Abfall der Quartiere wollte ich zusammenbringen und setzen und sich selbst überlassen. Warum der Chef es nicht wollte, ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß er seltsam lächelte und mir vorschlug, mit allem noch einige Jahre zu warten; ein Kümmerwäldchen, sagte er, das setzt man im Alter, und mehr sagte er nicht.
Der Brief der Behörde war mit einem unleserlichen Namen unterschrieben, aber der Chef wußte, daß es ein Ministerialrat war, und an den schrieb er einen Brief und forderte ihn auf, herauszukommen und zu vergleichen und zu inspizieren, er stellte ihm frei, einen Tag selbst zu bestimmen, doch der Ministerialrat kam nicht. Er kam nicht, weil er eine Inspektion für überflüssig
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