Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
hielt, die Ergebnisse der Kontrolle waren ihm genug, an die hielt er sich und verlangte noch einmal, den Eichenbestand umgehend zu vernichten, das tat er.
    Ah, und dann dieser Morgen, der Himmel war grau und friedlich, kein Wind in der Luft, kein Hauch, es war noch vor Arbeitsbeginn, auf einmal pochte und tuckerte ein Traktor los, dessen Lärm die Krähen auffliegen ließ, der Traktor fauchte heiser, beruhigte sich und pochte und fauchte wieder, nicht anders, als nähme er wütend Anlauf, um ein Hindernis zu bezwingen, und ich bedachte mich nicht lange und rannte dorthin, wo der Traktor tätig war. Der Eichenduft, als ich näher kam, selten zuvor habe ich einen so reinen Eichenduft eingeatmet, der kam von all den Bäumchen, die der Traktor umgerissen, entwurzelt und zermatscht hatte – den Duft spürte ich zuerst. Und dann sah ich auch schon ihn: angespannt hockte er auf dem Sitz, mit schweißglänzendem Gesicht, er fluchte und spuckte aus, er schaltete, daß es knackte und der Traktor zitterte und mitunter bockte, aber er schaffte es, ihn in Bewegung zu halten, und nicht nur dies: berechnet brach er in die Spaliere der Bäumchen ein und walzte sich Schneisen, das bog sich und knickte um, das verkeilte sich und sperrte und wurde weggeschleift – er, der Chef, der nur in den frühen Hollenhusener Jahren auf einem Traktor gesessen hatte, konnte immer noch mit ihm umgehen.
    Ich gab ihm ein Zeichen, doch er sah es nicht, ich rief ihn an, um mich bemerkbar zu machen, doch er hörte mich nicht, erst als ich vor seinen Traktor sprang, stoppte er und stierte mich an, alles an ihm vibrierte. Er zeigte auf die umgefahrenen Bäumchen und auf den Anhänger, er wollte, daß ich schon mit dem Säubern und Aufladen begann, und ich fing auch an, sammelte die Stämmchen ein, deren Bast weggequetscht war von den Hartgummirädern, suchte Äste zusammen und schmiß alles auf den Anhänger, aber zu viele Bäumchen hatten noch ihre Wurzeln in der Erde, und die ließen sich nicht so leicht ausreißen, nicht so leicht. Ich keuchte ganz schön, und vielleicht, weil er es mitbekam, fuhr er plötzlich rückwärts aus dem Quartier und dann hinab zum Gerätehaus, wo er nur den Aushebepflug festmachte und gleich wieder zurückkehrte, und nun pflügte er die Bäumchen raus, immer der Reihe nach, mitsamt ihren Wurzeln kamen sie aus der Erde und kippten um – jetzt brauchte ich die Stämme nur aufzuheben.
    Der Anhänger war bald voll, doch da der Chef nicht aufhörte, Reihe für Reihe herauszupflügen, fuhr ich damit fort, die jungen Eichen zu sammeln und zu schichten, ich schichtete sie in zwei großen Haufen, trampelte sie von Zeit zu Zeit fest, und als Ewaldsen kam, forderte ich ihn auf, mir zu helfen.
    Ewaldsen, der konnte nicht glauben, was er sah, der fragte mich, warum wir das machten; wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er die Bäumchen als Unterbau und Bodenschutz verkauft oder in kleinen Mengen an Landschaftspfleger: Warum habt ihr bloß nachgegeben? Ich konnte ihm darauf nicht antworten, ich konnte überhaupt nichts sagen, weil ich solch einen Druck auf der Brust hatte und immer nur pumpen mußte, um genug Luft zu bekommen, und als die andern kamen – von überall her kamen sie ungläubig heran und tuschelten und stießen sich an, wenn der Chef auf seinem Traktor vorbeizog, ohne sie eines Blickes zu würdigen –, da übernahm Ewaldsen es, mit ihnen zu reden, er bestätigte ihnen nur, was sie sahen, und schickte sie weg. Den Chef sprach er nicht an, er tat es auch nicht, als der Traktor mit laufendem Motor neben uns hielt und der Chef herabkletterte und sich einen Schluck Kaffee aus Ewaldsens Thermosflasche eingoß, in den zerbeulten Aluminiumbecher, den er mit verzerrtem Gesicht leerschlürfte. Seinem Blick zu begegnen, das tat fast weh, seine unheilvolle Ruhe zu erleben, ließ einen wer weiß was befürchten. Achtlos legte er den Aluminiumbecher auf Ewaldsens Aktentasche und kletterte ohne Dank auf seinen Traktor und fuhr los mit dieser schrecklichen Energie, die er für vieles aufbrachte, mit dieser Besessenheit.
    Die Kinderstimmen, da sind sie wieder, meine Quälgeister, da kommen sie heran und schreien übermütig, hintereinander, im Gleichschritt kommen sie den Arbeitsweg herauf und wollen, daß jeder sie hört: A B C, die Katze lief im Schnee. Als sie wieder rauskam, da hat sie weiße Stiefel an. Da ging der Schnee hinweg, da lief die Katz im Dreck. Schreit nur, marschiert nur. Aber gebt auf eure weißen Kniestrümpfe

Weitere Kostenlose Bücher