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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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das Pferd schüttelte zuerst den Kopf und ging dann nickend so nah an ihn heran, daß er seine Nüstern berühren und sie streicheln konnte.
    Komm, Bruno, rief er, rief es mehrmals, doch ich blieb, wo ich war, mich konnte nichts herauslocken aus der Deckung der Erlen, und auch später wollte ich mir nicht zeigen lassen, wie man »Mistral« begegnen soll, um ihn freundlich zu stimmen. Das wollte ich nicht. Mehrere Wochen blieb das schwarze Pferd allein auf der Koppel, ich beobachtete es nur von weitem, sah zu, wie es graste oder seinen Hals an einem Pfahl rieb, manchmal auch – vielleicht weil es von einer Bremse gestochen wurde – mit hochgestelltem Schweif galoppierte, immer am Zaun entlang. Und an einem Sonntag war dann »Bravo« da, der Rotfuchs.
    Dorothea beredete uns, gemeinsam hinauszugehen zum Großen Teich, an ihren Anspielungen hätte jeder gemerkt, daß sie eine Überraschung in petto hatte; und daß es Joachim war, auf den eine Freude wartete, das hätte auch jeder gemerkt, denn immer wieder mußte sie ihm ein Auge kneifen und ihn fragend ansehn. Obwohl Joachim nur Zweiter geworden war bei den Meisterschaften im Dressurreiten, hörte sie nicht auf, ihn Meister zu nennen, vermutlich hätte sie es gern gehabt, wenn auch der Chef etwas mehr zu Joachims Erfolg gesagt hätte, aber außer einem Glückwunsch hatte er nichts übrig. Möchte unser Meister noch Kaffee, fragte sie, oder sie sagte: Für einen Meister könntest du etwas zufriedener dreinschauen. Sie war es, Dorothea, die zum Aufbruch drängte, und draußen hakte sie sich bei Joachim ein und berief kein einziges Mal meine Quälgeister, die uns vorausliefen und mit ihren Stöcken köpften, was zu köpfen war, Kletten und Butterblumen.
    Als hätte eines das andere beleidigt, so standen die Pferde auf der Koppel, sie standen zwar ganz dicht nebeneinander, aber eines guckte über die Kruppe des anderen hinweg, mitunter warf eines den Kopf, mitunter scharrte eines ein wenig. Im Sonnenlicht leuchtete das Fell des Rotfuchses. Er erkannte uns zuerst, erriet auch wohl, daß wir seinetwegen herausgekommen waren, denn er ließ gleich das schwarze Pferd stehen und kam uns entgegen, wieherte und trabte, um uns zu begrüßen – nicht mich, aber die andern, die an den Zaun traten. Joachims Lob. Seine Bewunderung für »Bravo«. Die Fesseln, der Widerrist, die Sprunggelenke: was ihm nicht alles auffiel und Anlaß gab zum Staunen. Der Rotfuchs ging gleich zu ihm hin und senkte den Kopf, mit seinen gelblichen, belegten Zähnen versuchte er, Joachims Jackentasche zu öffnen, gewiß hoffte er, etwas zum Knabbern zu bekommen, Zucker oder Brot, aber Joachim hatte nichts bei sich, er umarmte den Kopf des Pferdes und drückte für einen Augenblick seine Wange auf die Blesse.
    Und dann fragte Dorothea, ob er das Pferd für sich haben möchte, und Joachim versteifte und sah sie ungläubig an. Und dann gab sie ihm zu verstehen, daß es von nun an ihm ganz allein gehöre, und er konnte sich immer noch nicht rühren und wußte nicht, was er sagen sollte. Und dann forderte sie ihn auf, »Bravo« in Besitz zu nehmen und sich ihm vorzustellen, und da nahm er sie in die Arme, küßte sie, es sah aus, als wollte er mit ihr ringen, so hielt er sie umklammert; doch auf ein Prusten des Pferdes ließ er sie los und stieg über den Zaun und beklopfte das Tier, fuhr mit der flachen Hand über sein Fell, sprach auf es ein. Der Schwarze, der neugierig herantrottete, »Mistral« wollte nicht beklopft werden, er hielt Abstand und guckte sich nur an, was Joachim mit dem Rotfuchs machte.
    Auf den Chef hatte keiner geachtet, und als wir uns nach ihm umdrehten, da war er schon ein ganzes Stück weit weg, sein Gang hatte etwas Trotziges, Hämmerndes, jeder von uns wußte, daß es niemandem gelingen würde, ihn zurückzurufen. Diese kurzen Schritte, selbst von weitem konnte man ihm anmerken, daß er geladen war, zumindest aber aufgebracht, ohne lange hinzusehn, so im Vorbeigehen brach er sich einen Zweig aus der Hecke und hielt ihn fest. Etwas paßt ihm wohl nicht, sagte Dorothea, und Ina darauf: Er wird sich schon beruhigen.
    Weil ich dachte, daß er mich vielleicht brauchen könnte, lief ich ihm nach und holte ihn bald ein, doch obwohl er spürte, daß ich hinter ihm war, wandte er sich nicht um, auch an der Wasserleitung, aus der er trinken mußte, beachtete er mich kaum, er grinste nur einmal flüchtig und setzte seinen Weg zur Festung fort. Drinnen, da hockte er sich an den nicht abgeräumten

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