Lenz, Siegfried
möchte ich schon gar nicht, weil es mir nicht zukommt. Hast du das alles schon getopft? Ja. Bald hast du es geschafft. Ja. Wie sanft ihre Stimme ist, ich könnte ihr immer zuhören. Ich war bei Elef, Bruno, sagt sie, bei ihm und seinen Leuten. Elef hat mich eingeladen, sage ich, sie wollen ein kleines Fest geben, und ich soll hinkommen. Ich weiß, Bruno, wir sind auch eingeladen, und wir freuen uns darauf, aber im Augenblick ist es uns nicht möglich. Es ist alles nur verschoben, sage ich. Ja, Elef hat das Fest gleich von sich aus verschoben, denn wir sollen alle dabei sein, sagt Dorothea und stellt auf den Abstelltisch, was sie in ihrer Armbeuge gehalten hat.
Die Rebhuhnfamilie; das ist die Rebhuhnmutter mit ihren fünf Küken, wie angelaufen das Silber ist, wie gedunkelt, die Küken schauen alle zur Mutter auf und lassen sich das Picken beibringen vor bergendem Dickicht. Dorothea streichelt die kleinen silbernen Rebhühner, ihre Hand zittert, sie preßt die Lippen aufeinander, gewiß ist sie kurz davor, zu weinen, und jetzt wischt sie sich über die Wangen, obwohl noch keine Träne gekommen ist. Dem Chef, sage ich, die gehören doch dem Chef, auf dem Fensterbrett vor seinem Schreibtisch: da waren sie immer. So ist es, Bruno, und auf diesen Platz wollen wir sie wieder zurückbringen; das ist auch Elefs Wunsch. Mehr sagt sie nicht, aber ich weiß, weiß schon genug, gewiß hat der Chef die Rebhuhnfamilie zu Elef gebracht, er wird sie ihm geschenkt haben, so wie er mir die Uhr und die silbernen Eicheln schenkte oder doch schenken wollte. Es wird vieles schwerer mit der Zeit, sagt Dorothea und nimmt die Rebhuhnfamilie auf; früher dachte ich, vieles müßte leichter werden mit der Zeit, aber es wird schwerer, Bruno. Soll ich sie tragen, frage ich. Nein, die wiegen nicht soviel; aber wenn du fertig bist hier, die Kartoffeln müssen wohl verlesen werden, beide Schütten. Mach ich, zuerst topfe ich diesen Rest, dann komm ich in den Keller. Es hat keine Eile, sagt sie zum Abschied und lächelt und geht mit behutsamen Schritten weg, nicht anders, als ob sie etwas Lebendiges trägt, das davonflattern könnte.
Kein Wort über den Chef, über das, was ihm und uns allen hier bevorsteht. Wenn Schweigen herrscht, wird es ernst, hat Max einmal gesagt. Verlassen wird sie uns nicht; das nicht. Dorothea ist nur wenige Male fortgefahren, und sie ist immer früher zurückgekommen, als sie es vorgehabt hatte, einfach weil sie es ohne unsere Nähe nicht aushalten konnte; aber entzogen hat sie sich uns, einmal hat sie sich sogar wochenlang eingeschlossen und wollte keinem ihr Gesicht zeigen außer Joachim.
Denk ich an damals, dann seh ich gleich das schwarze Pferd »Mistral«, sehe die Koppel beim Großen Teich vor dem Dänenwäldchen und »Bravo«, den Rotfuchs mit der Blesse, und jedesmal spüre ich dieses Stechen zwischen den Rippen. Der Chef hatte nichts dagegen, daß Niels Lauritzen die Wiese beim Großen Teich als Koppel einzäunte, er sagte nur: Mach man, und sagte auch: Vielleicht kann dein Dünger etwas billiger werden, und damit war schon alles abgemacht zwischen ihnen; und Niels Lauritzen, der immer gut zu mir war, nahm mich mit zu dem ungenutzten Land, wo ich ihm half, die Pfähle einzuschlagen und Draht zu spannen, doppelt und dreifach. Als wir fertig waren, brachte er sein schwarzes Pferd auf die Koppel, er selbst schloß den Zaun mit dem Sperrbalken und winkte mich zu sich, und gemeinsam beobachteten wir seinen »Mistral«, der lange stand und die Ohren spitzte und mit dem Schweif peitschte, plötzlich aber antrabte gegen das Wäldchen, gerade als wollte er sein neues Reich vermessen, doch das schien ihm wohl zu langsam zu gehen, denn auf einmal wechselte er in Galopp über, weit griff er aus, Erdbatzen flogen nur so hinter ihm auf, er schnaubte und ließ seine Mähne wehen.
Niels Lauritzen merkte, daß ich wegwollte, darum packte er mich am Ärmel und hielt mich fest, er lenkte meinen Blick auf das Pferd, das kurz vor dem Zaun seinen Bug herumwarf und in einem Bogen auf uns zugaloppierte, immer noch kraftvoll und weit ausgreifend, alles schien zu zittern, zu beben unter seinen Sprüngen. Die Augen, beim Anblick der aufgerissenen Augen machte ich mich los. Bruno rannte in die Erlen und sah von dort aus zu, wie das Pferd abstemmte und sich aufbäumte, es ging vor Niels Lauritzen auf die Hinterhand, prustete und schlug mit den Vorderhufen in die Luft. Er blieb stehen, er hob wie bittend eine Hand gegen »Mistral«, und
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