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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Kaffeetisch, leerte mit einem Zug den Rest in seiner Tasse, stierte eine Weile vor sich hin, und als das Dompfaffenpärchen sich mit anfragenden Pfiffen meldete, stand er auf und ging zum Käfig. Er steckte die Spitze des Zweigs zwischen die Stäbe, worauf die Vögel zu flattern begannen, daß der feine Sand nur so stäubte, sie hüpften und flatterten, und auf einmal waren sie draußen, schnell hintereinander durch die Käfigtür entwischt, die er geöffnet hatte. Knapp unter der Decke kreisten Dorotheas Vögel durch den Raum, bis sie die offene Klappe der Verandatür entdeckten, der Luftzug sagte ihnen wohl, wo es ein Entkommen gab, und fft-fft waren sie draußen und flogen in die Spitze einer Linde. Jetzt erst schien dem Chef aufzufallen, daß ich da war und alles gesehen hatte, er lächelte bekümmert, bewegte die Käfigtür hin und her, gab denen die Schuld, die die Tür angeblich nicht richtig geschlossen hatten. Und dann wollte er wissen, ob ich das nicht bezeugen könnte, und ich sagte ja.
    Selten habe ich ihm so lange still gegenübergesessen, er hatte keinen Auftrag für mich, er wünschte nur, daß ich mich hinsetzte, und so blieb ich. Seine geröteten Augen. Die Bewegungen seiner Lippen. Wenn er sich über das graue Stoppelhaar fuhr, sah er ganz zerquält aus, nahm er seine Hände vom Gesicht, dann konnte es plötzlich einen unerwarteten Ausdruck haben, Zuversicht zeigen, wo es eben noch verschattet war. Daß er meinen Blick so lange aushalten konnte! Endlich aber stand er doch auf, und bevor er zu sich nach oben ging, sagte er: Auch bei uns, Bruno, nun bewahrheitet es sich auch bei uns – auf die Gründer und Sammler folgen die Zerstreuer. Und mehr sagte er nicht.
    Ich weiß noch die Unruhe, als ich ihn verließ, ich ahnte, daß noch etwas geschehen würde an jenem Tag, und beim Schnitzen zuhause gelang mir nicht allzuviel mit dem alten Kirschholz, schon beim Herauslösen der Form wußte ich, daß ich einen langstieligen Rührlöffel ein zweites Mal würde machen müssen. Der Spieß war mir gelungen, auch die Gemüsegabeln und die hölzerne Zange konnten sich sehen lassen, aber der Rührlöffel mißglückte mir, und da ich Ina nicht zum Geburtstag schenken wollte, was mir selbst nicht gefiel, verschob ich die Schnitzarbeit auf den nächsten Abend und schmirgelte nur ein bißchen den Quirl und die andern Küchengeräte. Meine Unruhe behielt recht; wer da plötzlich anklopfte, wer mich nicht ungeduldig herausbefahl, sondern auf mein Herein wartete, war der, mit dem ich nie und nimmer gerechnet hätte. Von allein wagte Joachim sich nicht zu setzen; er, der sonst nur ein Kopfschütteln für mich übrig hat, sah sich anerkennend bei mir um; das geschnitzte Küchengerät, das mit den Stielen in einem großen Bierglas steckte, gefiel ihm so sehr, daß er sich bei Gelegenheit einen gleichen Satz bei mir bestellen wollte. Ach, Bruno, sagte er, nachdem ich ihm meinen Sessel angeboten hatte, und bei seinem Seufzen wußte ich schon, daß er verzagt war und einen brauchte, den er ins Vertrauen ziehen könnte.
    Er war verzagt. Er machte sich Sorgen. Er hatte die Festung verlassen, weil er den Streit nicht mehr aushalten konnte. Die hören überhaupt nicht auf, Bruno, die finden immer noch etwas, das sie sich an den Kopf werfen können, es ist einfach nicht zu ertragen, sagte er und zog die Schultern zusammen wie unter einem Kälteschauer. Nie zuvor hatte er seine Eltern so erlebt, nie hätte er geglaubt, daß sie so außer sich geraten könnten. Er sagte: Sie überbieten sich geradezu darin, einander zu verletzen. Das Pferd, mit dem geschenkten Pferd hatte alles angefangen; daß Dorothea es von ihren eigenen Ersparnissen gekauft hatte, machte den Chef nicht still, er konnte nicht verstehen, daß Ersparnisse in schwieriger Zeit dazu benutzt wurden, um ein Pferd zu kaufen. Und jetzt machen sie Inventur, Bruno, und du kannst dich nur wundern, was sie alles auf Lager haben und hervorziehen. Joachim bat mich um eine Zigarette, aber ich hatte keine, und die Schale mit Birnenkompott, die ich ihm anbot, wollte er nicht; von den Pflaumenkernen jedoch, die ich ihm aufknackte, probierte er ein paar.
    Das Versprechen, ich erinnere mich genau, daß er mir das Versprechen abnahm, einmal mit ihm allein zur Koppel hinauszugehen, er wollte mir da etwas beweisen, wollte mir vorführen, wie leicht es sei, sich mit einem Pferd anzufreunden, wenn man sich ihm nur richtig nähert und entgegenstellt, er bedauerte mich und wollte etwas in

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