Lenz, Siegfried
Ordnung bringen. Seinen »Bravo« nannte er die Freundlichkeit persönlich. Glaub mir, Bruno, wenn ihr beide euch erst eingehend beschnuppert habt, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis du auf ihm drauf sitzt – das sagte er, und ich war so verblüfft, daß ich nichts erwidern konnte. Er sagte auch noch: Du mußt etwas loswerden, Bruno, und es gelingt dir am sichersten, wenn du dich zuerst einmal stellst. Ausgerechnet er bot sich an, mir bei allem zu helfen, und bevor er schließlich ging, mußte ich ihm versprechen, ihn an einem Wochenende auf die Koppel zu begleiten.
Seit die Pferde dort auf der neuen Koppel waren, ging ich weder zum Dänenwäldchen noch zum Großen Teich, meist ging ich zur Holle, saß da auf den Holzbohlen, die als Brückchen dienten, beobachtete Fischreiher und Kiebitze, manchmal hielt ich auch meine selbstgemachte Angel ins Wasser, zog kleine Brassen heraus, fingerdicke Aale, niemals einen Hecht. Vorsichtig löste ich die kleinen Fische vom Haken, ließ sie eine Weile zappeln und warf sie dann in die Holle zurück.
Aber einmal bin ich doch zur Koppel gegangen, und ich tat es deinetwegen, Ina; weil du mich darum batest, streifte ich da herum, um die Kinder zu suchen, fast einen ganzen Tag lang hatten sie sich nicht blicken lassen, dein Tim und dein Tobias, meine Quälgeister. Wenn einer gesucht werden mußte, bist du zuerst immer zu mir gekommen, und fast immer hab ich dir deine Sorgen abnehmen können, du warst ganz schön erstaunt mitunter, wie schnell ich einen finden konnte, der vorübergehend verschwunden war. Keiner weiß, daß ich da meine eigene Methode habe: kenne ich erst einmal die Stimmung, in der einer fortgegangen ist – also ob er zufrieden war oder erregt, verzweifelt oder auf etwas Besonderes aus –, dann begutachte ich das Wetter, einfach, weil einer sich bei Regen anders entscheidet als unter klarem Himmel, und danach frage ich mich, was ich selbst machen würde, und dann gehe ich los und spüre meistens den auf, der gefunden werden soll. Weil du mir sagtest, daß die Kinder ihre Katapulte mitgenommen hatten, ahnte ich gleich, daß sie zum Dänenwäldchen wollten, zu den zahllosen Waldtauben, unter denen nicht einmal der Chef mit seinem Gewehr aufräumen konnte, obwohl er sie gelegentlich bündelweise anschleppte, an einem Drahtstrupp.
Ich nahm mir vor, die Kinder zu ertappen, zu erschrecken, darum rief ich nicht ihre Namen, schlich mich im Schutz der Erlen am Großen Teich vorbei, unentdeckt von den kleinen Jägern, doch bemerkt von den beiden Pferden, die damit aufhörten, sich gegenseitig in die Mähnen zu beißen und einander zu jagen, und die nur noch zu mir hinblickten mit gespitzten Ohren. Wie gereizt die waren, wie schlecht gelaunt, ich konnte ihnen ansehen, daß irgendetwas sie erregt hatte, dennoch gab ich den Plan nicht auf, schnell zwischen den gespannten Drähten durchzuschlüpfen und über das schmale Stück Koppel zu rennen zum Dänenwäldchen. Als ein Schwarm Wildtauben aus der ältesten Eiche stob und mit diesem kurzen Klatschen ihrer Schwingen eine Runde drehte, wußte ich schon, wohin ich mußte, im Nu zwängte ich mich zwischen den Drähten hindurch, lief los und ließ im Lauf ein Vierkantholz wirbeln, das ich am Teichufer aufgelesen hatte.
Der Schwarze gab das Zeichen, »Mistral«; wiehernd sprang er an und galoppierte auf mich zu, den Rotfuchs mit sich ziehend, der ihn rasch einholte und sich dann neben ihm hielt; diese Sätze, dies Gewitter, dieses Schwellen und Geschiebe ihrer Muskeln, ich sah, daß ich es nicht schaffen würde bis zum Dänenwäldchen, ich mußte zurück, und ich schleuderte ihnen das Vierkantholz entgegen und rannte zum Zaun. Gewiß spornten sie sich gegenseitig an, ihre schweren Körper flogen nur so in der Streckung, getragen von Wut und Wetteifer, aber ich war vor ihnen am Draht, einen Atemzug vor ihnen. Dann warf es mich gegen den Zaunpfahl, daß es mir schwarz wurde vor Augen. Dann quietschte und knallte der Draht und ein furchtbares Wiehern war hinter mir. Dann rammte mich eine Masse und zwang mich zu Boden, und ein übermächtiges Gewicht legte sich auf meine Beine und klemmte mich fest. Der stechende Schmerz in den Rippen. Dicht vor mir das Fell des Rotfuchses, der nicht lag und nicht stand, sondern mit halbgestreckten Hinter- und Vorderläufen am Boden ruhte. Ich fühlte, wie die Last atmete, bekam jedesmal mit, wie »Bravo« sich zu erheben versuchte mit gesammelter Anstrengung, scharrte, ruckte, Stand suchte, doch
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