Lenz, Siegfried
immer wieder wegknickte und zurücksackte, weil das Bein nicht mehr trug, das rechte Vorderbein. Am niedergewalzten Zaun, aber gehorsam auf der Koppel, stand der Schwarze, er überschritt nicht die Grenze, er stand da und machte den Hals lang und schnupperte, immer wieder warf er den Kopf.
Die Kinder fanden mich, ich hörte schon ihre Stimmen auf der Koppel, hörte auch deutlich, wie sie »Mistral« klapsten, und dann kamen sie zu mir und konnten sich nicht erklären, was mit mir geschehen war. »Bravo« erhob sich nicht, obwohl sie ihn ermunterten und beklopften, es gelang ihnen auch nicht, mich wegzuziehen, da liefen sie fort, ohne mir zu sagen, was sie vorhatten, sie sagten nur: Wir kommen bald wieder. Ich rührte mich nicht, und das Pferd schien mich überhaupt nicht zu bemerken, es wandte kein einziges Mal den Kopf, es zitterte, wenn es wieder mal wegknickte und zurücksackte, und wartete in Ergebenheit.
Niels Lauritzen, der hat mich weggezogen, auf einmal war er da und erfaßte sogleich, was passiert war, auf sein Kommando bewegte sich »Bravo« – jedoch so, daß er kippte und auf der Seite liegenblieb –, und ich war frei und wurde weggeschleift und bekam die verbrauchte Reuse als Kopfstütze. Nachdem er mich abgetastet und beruhigt hatte, untersuchte er die Vorderhand des verunglückten Pferdes, er seufzte und sagte für sich: Mein Gott, und noch einmal: Mein Gott; dann ging er an den Rand der Koppel, wo er nach Spuren forschte und den Boden beklopfte, plötzlich tief in den Boden hineinlangte, fast bis zum Ellenbogen: Niels Lauritzen hatte das Loch gefunden, die Maulwurfshöhle, in die »Bravo« mit seiner Vorderhand geraten war, als er den wilden Lauf abbremsen wollte. So war es, Bruno, so muß es gewesen sein – er wollte vor dir abstemmen und geriet mit dem Stemmfuß in das Loch, nach dem doppelten Bruch konnte er die Schwungkraft nicht abfangen und stürzte in den Zaun und riß dich mit, sagte Niels Lauritzen. Auf ihn gestützt, machte ich ein paar Versuchsschritte, bei jedem Aufsetzen des Fußes stach es spitz in den Bauch, bald mußte ich wieder zu Boden, und Niels Lauritzen blieb nichts anderes übrig, als mich allein liegenzulassen und zur Festung zu gehen und von dort Hilfe zu holen.
Da lagen wir beide, »Bravo« und ich, er lag ruhig auf der Seite, schnaufte, rieb seinen Hals am Gras, ab und zu bewegte er das gebrochene Bein, aus dem ein blutiger Knochen hervorstand. Er hatte wohl die Versuche aufgegeben, sich zu erheben. Ich kroch an ihn heran, ich bewegte mich so behutsam, daß er nicht ein einziges Mal lauschend die Ohren spitzte – der Schwarze, der sah mir zu –, und dann war ich bei ihm und so nah, daß ich die weißen Stichelhaare in seinem Fell erkennen konnte, und ohne daß ich es wollte, streckte ich die Hand aus und berührte ihn. Er zuckte, ich legte ihm die Hand auf, und er zuckte wiederum. Sein heftiges Prusten erschreckte mich, und ich kroch wieder von ihm weg und behielt ihn im Auge.
Und ich hätte ihn wohl noch einmal berührt, wenn nicht Niels Lauritzen und der Chef gekommen wären, im Geschwindschritt kamen sie vom feuchten Land herüber, gefolgt von den Kindern, die nur bis zum Rand der Wiese durften; eine Drohung des Chefs genügte, und sie wandten sich um und trotteten lustlos zurück. Er trug sein Gewehr. Der Chef trug sein Gewehr, den Lauf nach unten. Du machst Sachen, Bruno, sagte er und kniete schon bei mir, löste den Gürtel, pellte mein Hemd aus der Hose und schob es hoch bis zum Hals, und tastend fand er gleich die Stelle, an der es am meisten wehtat. Wenn er entschieden hat, daß etwas dringend getan werden muß, dann gibt es kein langes Erwägen und Suchen, dann ist auch schon alles zur Stelle: er brauchte nur eben durch die Erlen zum Teichufer zu gehen und hatte schon das Brett, das er sich wünschte, und den Strick, den er benötigte, schnitt er einfach aus den Leitflügeln der alten Reusen heraus, ein paar Kerben noch, ein paar Knoten, und der Tragestuhl für mich war fertig.
Er legte ihn vor mir hin und ging zu Niels Lauritzen, der die ganze Zeit beim Pferd war und mit ihm sprach und sein kaputtes Bein in die Hände nahm; während sie miteinander redeten, umrundeten sie mehrmals das liegende Tier, zeigten sich etwas, beurteilten etwas, und dann beschlossen sie, es gemeinsam hochzubringen durch Griffe und Kommandos. »Bravo« gehorchte, er rollte sich zurecht, drückte und stemmte und richtete sich zu voller Größe auf, aber plötzlich knickte er
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