Lenz, Siegfried
sieht, was ich vorbereitet habe, wird sie alles von mir wissen wollen, vielleicht ist sie auch hier, um mir eine Anweisung zu geben für morgen, doch morgen werde ich fort sein. Ich kann keine Anweisung mehr entgegennehmen. Wie es schnürt und sich zusammenzieht, und dieser Geschmack im Mund, geradeso, als ob ich mit der Zunge den Wasserhahn beleckt habe. Ich muß zusehen, daß ich fortkomme, gleich, wenn sie gegangen ist. Das Geschenk für den Chef werden sie schon finden, und wenn ich seinen Namen auf das Päckchen schreibe, werden sie wissen, daß es für ihn ist.
Kein Wunder, daß eins der Schlösser nicht schnappt, in all der Zeit hat es Rost angesetzt, ich werde einen Riemen um den Koffer binden, doppelt, so wird er halten. Der Tragebügel ist stark, an ihm kann ich noch den Beutel mit dem Werkzeug festmachen; was zu tragen ist, werde ich in einer Hand tragen können, es ist immer gut, wenn man eine Hand frei hat. Gewiß ist Dorothea gegangen, enttäuscht, daß sie mich nicht gefunden hat. Ich werde mich fertigmachen. Nicht lange mehr, und es ist dunkel. Nun kann die Tür offen bleiben.
Ich werde den Nebenweg nehmen, wie so oft, werde zum letzten Mal im Schutz der Thujahecke gehen, in ihrem bitteren Geruch. Und dann werde ich in dem Zug sitzen, auf den ich so oft vor dem Einschlafen gewartet habe, sein Lichterband wird durch die Ebene gleiten, sein Pfiff wird die Krähen hochschrecken aus ihren lieblosen Gehegen, noch einmal werde ich die Holle sehen, aber unsere Quartiere, die werde ich wohl kaum erkennen, da sie im Dunkeln nicht mehr sich selbst gleichen. Dennoch werde ich wissen, wo alles für sich steht: die Zypressen und die Lärchen, alle an ihrem Platz, und die Eiben und die Linden und meine Blautannen, alle dort, wo sie hingehören.
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Der Roman
Exerzierplatz
erschien erstmals im Jahr 1985 im Verlag Hoffmann und Campe.
In
Exerzierplatz
stellt Siegfried Lenz die Überlebensversuche einer Gruppe ostdeutscher Flüchtlinge dar, die einen alten Exerzierplatz in Schleswig-Holstein in eine blühende Baum- und Pflanzschule verwandeln. Erzählt wird die Geschichte von Neubeginn und Zerfall aus der Perspektive eines Benachteiligten, aus der des behinderten Knaben Bruno. Auch in dieser Figur beweist Siegfried Lenz seine Solidarität mit den Sprachlosen, die – scheinbar unbedeutend und machtlos – an den Rand gedrängt werden.
Für den Roman
Exerzierplatz
und sein Gesamtwerk erhielt Siegfried Lenz im Jahr 1987 den Wilhelm-Raabe-Preis.
Zeittafel
1926
Siegfried Lenz wird am 17 . März als Sohn eines Zollbeamten in Lyck (Masuren/Ostpreußen) geboren.
1932 – 1943
Schulbesuch in Lyck und Samter.
1943 – 1945
Notabitur, dann Einberufung zur Kriegsmarine; nach viermonatiger Ausbildung erstes Bordkommando auf der »Admiral Scheer«; nach Bombardierung des Schiffes stationiert in Dänemark. Desertion kurz vor dem Zusammenbruch. Lenz gerät in englische Gefangenschaft und wird als Dolmetscher einer amtlichen Entlassungskommission eingesetzt. Noch 1945 Entlassung nach Hamburg.
1946 – 1950
Studium der Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg; Lenz will zunächst Lehrer werden. Finanzierung des Studiums überwiegend durch Schwarzhandel. Erste kleinere Rundfunkbeiträge für den NWDR in der Sendereihe »Wir erinnern an …«.
1948 / 1949
Volontariat bei der englischen Besatzungszeitung
Die Welt
, für die er auch schon während des Studiums gearbeitet hatte. Dort lernt Lenz seine spätere Ehefrau Liselotte kennen.
1949
Heirat.
1950 / 1951
Nachrichten-, dann Feuilletonredakteur bei der
Welt
.
1951
Der erste Roman
Es waren Habichte in der Luft
erscheint; er war zuvor in der
Welt
als Fortsetzungsroman abgedruckt worden. Seitdem lebt Lenz als freier Schriftsteller in Hamburg und im Sommer in Lebøllykke auf der Insel Alsen (Dänemark).
1952
Anschluß an die Gruppe 47 . Noch in der Versuchsphase des NWDR -Fernsehens schreibt Lenz das Drehbuch zum Fernsehspiel
Inspektor Tondi
. Im NWDR -Hörfunk wird sein erstes größeres Hörspiel
Wanderjahre ohne Lehre
gesendet.
1953
Duell mit dem Schatten
, Roman.
1954
Die Nacht des Tauchers
, Hörspiel.
1955
So zärtlich war Suleyken. Masurische Geschichten
, Erzählungen (Verfilmung fürs Fernsehen 1971 / 1972 ).
Der Hafen ist voller Geheimnisse
, Hörspiel.
Die verlorene Magie der Märkte
, Hörspiel.
Das schönste Fest der Welt
, Hörspiel.
1956
Die Muschel öffnet sich langsam
,
Weitere Kostenlose Bücher