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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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genug, da helfen auch keine Schlösser, und kein Aufpasser kann verhindern, daß sich etwas einschleicht. Nie hab ich’s geschafft, im Dunkeln zu sehen, obwohl ich’s ein paarmal versucht habe, manchmal glaubte ich, daß ich dicht davor war, das Dunkel begann zu fließen und graute sich ein, aber erkennen konnte ich nichts. Jetzt kann ich wohl Licht machen.
    Das Band hinter den Krügen ist noch zu sehen, das blauweiße Band, er hat es nicht sorgsam genug versteckt, nicht gepreßt und abgedeckt, wer hier herunterkommt, um eingelegte Pflaumen oder Kürbis zu holen, der wird es sofort bemerken, wird daran ziehen und finden, was der Chef verwahrt hat. Nein, ich darf da nicht ran, darf nichts berühren, auch wenn es bestimmt allerhand zu besehen und zu entdecken gibt, vielleicht liegt dort sogar etwas, das mich angeht – nein, es steht mir nicht zu. Es gehört ihm allein. Nur er hat das Recht, seine Sachen in die Hand zu nehmen. Aber die andern, die werden gewiß nicht darauf verzichten, alles zu untersuchen, was sie hier finden; sie werden es auswerten und sich beratschlagen, und vielleicht wird er hilflos dastehen und nicht mehr weiterwissen ohne sein Verwahrtes, das kann sein. Ich muß es ihm sagen. Er, dem ich alles verdanke, der mich einmal seinen einzigen Freund genannt hat, er muß erfahren, daß das blauweiße Band hervorguckt und jedem das Versteck verrät. Schnell, bevor Dorothea kommt, denn irgendwann wird sie kommen, schnell zu ihm, damit er noch Zeit hat, alles wegzustopfen und abzudecken.
    Wenn das Licht aus ist, wird Dorothea erst gar nicht hinuntergehen, sie wird nur ins Dunkle rufen und dann etwas anderes tun, hoffentlich lauf ich ihr nicht in die Arme. Daß sie Staubsauger und Besen und all das Zeug immer hinter der Kellertür abgestellt haben will! Wie oft hab ich mich schon an den Stangen, an den Eimern gestoßen. Niemand sitzt am Tisch, leer die Sofaecke, geschlossen die Tür zur Terrasse, alles sieht wie verlassen aus, nur ein bißchen Wind bauscht die Gardine, weil die Tür sich verzieht, weil das Holz arbeitet und feine Ritzen entstehen – Holz will sich niemals abfinden, sagte der Chef einmal, und darum hört es nicht auf zu arbeiten. Nur der Vater des Chefs sieht mir aus seinem glänzenden Rahmen zu. Der Läufer auf der Treppe verschluckt das Geräusch der Schritte, wenn ich erst oben bin, ertappt mich keiner mehr, immer noch grüßt der Ginster von der Wand, Ina wollte die Stiche schon einmal austauschen, aber der Chef erlaubte es nicht, weil er sich zu sehr an sie gewöhnt hatte. Leise, leise, wenn ich zu laut klopfe, öffnet sich vielleicht eine andere Tür, am besten ist es, wenn ich klopfe und gleich eintrete, er wird es schon entschuldigen. Diese Trockenheit im Mund. Er antwortet nicht, er ruft nicht, doch ich muß zu ihm, ich muß hinein.
    Auf der Couch, seinem Tageslager, Nachtlager, wie im Schlaf liegt er da, umnebelt von diesem Geruch, der kein Rumgeruch ist, zu säuerlich, zu verdorben, nicht mal die Stiefel hat er ausgezogen, und seine Joppe hat er nicht aufgehängt, sondern einfach über den Stuhl geschmissen. Nach verdorbenem Essen riecht es. Die silbrigen Stoppeln am Kinn, am Hals, angestrengt geht sein Atem, und sein Gesicht überläuft ein schwaches Zittern, da liegt er mit offenem Mund und geschlossenen Augen und hat noch nicht gemerkt, daß ich vor ihm stehe.
    Na, Bruno, was ist denn? Was willst du? Er hat mich längst erkannt, nichts bleibt ihm verborgen, auch in seinem Halbschlaf nicht, einer wie er kann wohl mit der Haut sehen. Das Band, sage ich, unten im Keller, im Versteck hinter den Krügen, da guckt noch das Band hervor.
    Wie er die Augen aufschlägt, wie er sich schüttelt und sich aufrichtet und mich ansieht, ich ahne schon, was er denkt, ich seh schon das Mißtrauen in seinem Blick, vermutlich glaubt er, daß ich ihm nachspioniert habe. Nein, ich war zufällig hinter der Schütte, ich sollte Kartoffeln entkeimen, sage ich, und er nickt nur müde und überlegt, ob er mir das glauben kann, er, der doch wissen müßte, daß ich ihn nie mit Absicht belauscht habe. Ach, Bruno, sagt er und schüttelt den Kopf, gewiß ist ihm elend zumute, elend vor Enttäuschung, trauriger hat er mich noch nie angesehen; wenn ich ihm nur beweisen könnte, daß ich ihn nicht beobachten wollte. Ich hab nichts berührt, sage ich. Das weiß ich, Bruno, aber ich bin enttäuscht, daß du kein Wort gesagt hast, als ich unten war, nur totgestellt hast du dich und aufgepaßt, was ich da

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