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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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mache.
    Er wischt sich den Speichel vom Kinn, er lächelt ein wenig, bestimmt nimmt er es nicht so ernst, und nun greift er unter das Kissen und fingert da und zieht seine flache Taschenflasche heraus, aus der ich schon einmal trinken durfte, seinen Wacholder, den er lange im Mund behält, bevor er ihn schluckt. Leer, nur ein paar Tropfen fallen heraus und zerplatzen ihm auf den Lippen, doch es genügt ihm wohl, zufrieden verwahrt er die Flasche wieder und winkt mir und will, daß ich ganz nah herankomme. Hör zu, Bruno, da unten, da liegt meine heimliche Reserve, ich mußte sie anlegen, weil hier oben sicher alles kontrolliert wird in meiner Abwesenheit, kontrolliert und gezählt. Früher war unsere Festung wie ein Glashaus, alles lag offen, jeder konnte wissen, was er wissen wollte, doch das hat sich geändert, wie du weißt, nun gibt es Abseiten und Geheimkammern und allerhand Verstecke, jeder versucht, etwas zu tarnen, denn die Tarnung bringt jedem Vorteile. Ich werde das Band wegstecken, sage ich, tief ins Versteck werde ich’s hineinstopfen, so daß es nichts verrät. Er ist einverstanden, er sagt schon ja mit den Augen: Gut, Bruno, tu das mal; ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann.
    Warum hält er mich fest? Ich muß mich doch beeilen, warum zieht er mich noch näher zu sich heran und hebt sich mir entgegen, als müßte er mich aus kürzestem Abstand erforschen? An meiner Jacke zieht er mich nieder, er will, daß ich mich setze. Du hast doch nichts unterschrieben, Bruno, keine Verzichtserklärung, nichts? Nein, nein, nichts unterschrieben. Das erwarte ich auch von dir, sagt er, und er sagt: Der Schenkungsvertrag ist hinterlegt, und mich wird keiner dazu bringen, ihn zurückzunehmen; eines Tages wirst du bekommen, was ich dir zugedacht habe, und dann wirst du zeigen müssen, daß du es verteidigen kannst.
    Er spricht immer leiser, ich kann ihn kaum noch verstehen, auch erkennen kann ich ihn nicht mehr genau, der Schleier auf einmal und das Schwindelgefühl rücken ihn ab, nur seine Hand wird immer größer, jetzt muß ich es fragen: Warum, warum kann es nicht sein wie früher, wie damals, als wir anfingen? Weil wir uns verändert haben, Bruno, jeder von uns, und weil wir Erfahrungen gemacht haben, die sich nicht übergehen lassen. Nun muß er es wissen: Wenn es an mir liegt, ich will nichts, ich brauche nichts und ich will nichts, am besten wäre es, wenn das Land dem gehörte, dem es immer gehört hat.
    Diese Enge, jetzt kommen wohl keine Worte mehr durch den geschwollenen Hals, und in den Schläfen beginnt es zu klopfen, doch seine Stimme, die hör ich nun deutlicher, diese ruhige, andere Stimme: Nicht begreifen, Bruno, du wirst es doch nicht begreifen, du Schlafwandler, aber vielleicht wirst du aufwachen eines Tages. Einmal mußt du dich recken, aus der Deckung raus, mußt den Kopf schütteln und dich allein wehren – ich hab getan, was ich tun konnte. Ja, sage ich, ja, und er wieder von ganz fern: Du brauchst nicht zurückzusehn, denn es kommt nichts wieder, geh immer nur weiter, Bruno, bis du deinen Hügel erreicht hast.
    Der Kollerhof, sage ich, der steht wieder leer. Ich hab genau gehört, daß ich das gesagt habe, aber er hat mich wohl nicht verstanden, er seufzt nur und sinkt zurück und rutscht sich zurecht auf seinem Lager. Nichts wiederholt sich, Bruno, das wirst du noch einsehen. Seine Mattigkeit. Die Schwere, die ihn hält. Er macht die Augen zu, für ihn gibt es nichts mehr zu sagen, obwohl es um seine Lippen zuckt, obwohl er seine Finger bewegt, als ob er etwas abzählt, ein Gruß würde ihn nur stören.
    Das Band im Keller muß weg, zuerst muß ich da runter, wenn nur das Ziehen aufhörte, am Treppenpfeiler könnte ich es loswerden, nur ein paarmal dagegenschlagen, bis es zurückdröhnt, dann wird es wieder ruhiger. Keiner hat uns belauscht, ich kann langsam gehen jetzt, vorsichtig die Treppe hinunter; du bist ganz allein, Bruno, wie kühl der Pfeiler ist, wie glatt und kühl. Schlafwandler hat mich der Chef genannt, zum ersten Mal.
    Aufstehn, rasch aufstehn, zur Kellertür, bevor sie kommt, das sind nicht Dorotheas Schritte, es hätte nicht viel gefehlt, und du hättest mich bei ihm ertappt, Magda, vielleicht wären wir sogar zusammengeprallt, ich und du mit deinem Tablett. So ist Magda: sie bleibt nicht stehen auf mein Zeichen, abweisend guckt sie mich an, warnend, damit ich ja keinen Versuch mache, mich mit ihr zu besprechen, im Haus darf keiner etwas ahnen; ist gut, ist gut:

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