Lenz, Siegfried
vergessen haben, daß er es war, der dieses Land übernahm und es am Anfang mit geliehenem Gerät und gemieteten Pferden bearbeitete, und sie können sich doch wohl nicht darüber hinwegsetzen, daß alles hier mit seinem Namen verbunden ist.
Ich war ja von Anfang an dabei, zuerst nur an den Nachmittagen, und dann, nachdem er mich aus der Schule genommen hatte, von morgens bis abends, ich war dabei, als er das Land nach seinem Plan einteilte und Stück um Stück drainierte und pflügte und eggte. Er hatte es erreicht, daß ich nicht mehr zur Schule brauchte, und wenn ich aufwachte, aß ich schnell zwei Teller Grütze und lief zum Exerzierplatz hinaus, wo er schon hinter dem Gespann ging oder rodete oder Gräben aushob, manchmal mußte ich ihn im Nebel suchen, manchmal winkte er mir schon vom buschlosen Hügel. Kaum ein Tag, an dem er nicht etwas gefunden hätte für mich; bevor ich anfing, linste ich erst einmal in den verrosteten Stahlhelm, in den er alles hineinwarf, Knöpfe, Splitter, Kokarden, immer Patronenhülsen. Weil ich nicht hinter den Tieren gehen konnte, sammelte ich Steine in einem Korb, sammelte den letzten Krempel von den gesprengten Häuserattrappen und Eisenteile und Blech, und sobald der Haufen mir bis zur Brust reichte, fuhr ich ihn mit dem Handwagen ab, mit dem Bollerwagen. Dort, wo unser Land an Lauritzens Acker grenzte, zog ich eine Mauer hoch, türmte und schichtete das abgesammelte Zeug so aufeinander, daß man gut darauf sitzen und ausruhen konnte; nur die Flintsteine legte ich beiseite, mit den schwarz glänzenden Flintsteinen steckte ich mir einen eigenen kleinen Garten ab, in dessen Mitte eine Zwergbirke wuchs. Trocken war der Sommer, immer ging leichter Ostwind, über den Himmel zogen nur lockere Wolkenschleier. Näherten wir uns einander, der Chef und ich, oder passierten wir einander mit Gespann und Bollerwagen, dann nickten wir uns jedesmal zu, lächelten und nickten uns zu, und mitunter gaben wir uns auch kurze Zeichen der Freude und der Verschworenheit, und dann spürte ich kaum noch den Brustriemen. Damals wurde ich tagsüber überhaupt nicht müde. Ina, die wurde schnell müde, wenn sie mir manchmal nach der Schule half, Steine und gerodetes Holz zu sammeln, und Joachim brauchte sich nur zweimal zu bücken, dann mußte er sich schon ausruhen, ich aber wurde erst müde, wenn ich mich abends hinlegte.
Wer zuerst Dorothea mit dem Korb entdeckte, der stieß einen Pfiff aus, das hatte sich so ergeben ohne Abmachung, und auf den Pfiff ließen wir die Arbeit liegen und gingen zu meiner Mauer, wo Dorothea das Essen verteilte, Brot und Griebenschmalz und Äpfel und ungesüßten Hagebuttentee, ein paarmal auch dicke Bohnen und Kartoffelflinsen. Sie saß mit uns auf der Mauer und sah zu, wie wir aßen, sie achtete darauf, daß der Chef und ich unsere Hemden anzogen, und bevor sie mit leerem Korb wegging, lobte sie jedesmal, was wir getan hatten. Wenn der Chef aufzählte, was noch alles getan werden mußte vom Aufsanden bis zum Düngen, dann sagte sie: Wie wollt ihr das bloß schaffen? Und der Chef sagte: Stück für Stück und mit Brunos Hilfe, und dabei zwinkerte er mir zu. Das war ein seltenes Glück damals, ich brauchte nichts, ich entbehrte nichts, und mit jedem Tag konnten wir sehen, daß wir etwas gewonnen hatten, dazugewonnen. Machten wir Feierabend, dann ging es nicht gleich nach Hause, oft genug haben wir noch eine Weile auf der Mauer gesessen, und der Chef, dem hier keiner das Wasser reicht, hat von den verlorenen Quartieren am Rand der Rominter Heide erzählt, von den Quartieren im Sonnenaufgang, wie er sagte, oder er hat die Steine zur Hand genommen, die ich gesammelt hatte, und hat mir gesagt, was Feldspat ist, was Granit und Gneis. Er hat mir von der Herkunft der Steine erzählt, von ihrer Wanderschaft auf dem Rücken der Gletscher, und ich war dabei, wie das Eis aus dem Norden kam und Berge abhobelte und lange Täler grub und steinigen Schutt vor sich herschob – wovon er auch erzählte, ich war sogleich dabei. Nicht selten hatte ich dann den Wunsch, ein Baum in der Ebene zu sein, der frei und für sich stand, oder ein kleiner Fluß wie die Holle oder ein Findling, den die schmelzenden Gletscher verloren hatten; ich wollte das sein, um immer nur zusehen und zuhören zu können.
Einmal stießen wir im Wacholder auf einen Findling, er hob seinen bemoosten Rücken nur ein wenig heraus, den von grauen Flechten bespannten Rücken, der einige Dellen hatte wie von sehr harten
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