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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hinabbewegte, zur Holle. Einmal bellte ein Hund in meiner Nähe, doch er wurde von weither zurückgerufen und gehorchte. Obwohl ich die Rufe nicht verstehen konnte, wußte ich gleich, daß sie mir galten, wußte, daß die Männer unterwegs waren, um mich zu suchen. Ich zog die Hebel des Turmluks fest. Niemand konnte es nun von außen öffnen. Ich faltete das Plakat und schob es unter mein Hemd und wartete, entschlossen, auf keinen Anruf zu antworten und mich tot zu stellen, falls sie zurückkommen und mein Versteck untersuchen sollten. Und nach einer Weile kamen sie zurück, sie kamen genau auf mich zu, ohne meinen Namen zu rufen, mit ihren Fackeln näherten sie sich und ließen dem Hund freien Lauf, der gleich auf die Plattform sprang und zu winseln begann. Dann stieg einer der Männer auf die Plattform und versuchte, das Luk zu öffnen, er ruckte und fluchte, er hämmerte mit einem harten Gegenstand auf den Stahl, doch das Luk blieb geschlossen. Ich hörte, wie sie sich beratschlagten, ich lag ganz still und hörte ihnen zu mit diesem Druck auf den Schläfen, diesem Druck auf dem Magen, und plötzlich sagte der Chef: Von mir aus sollten wir ihn sprengen. Er sagte es so laut, daß es alle mitbekamen, und wie es schien, hatte keiner etwas dagegen, denn da wurde nicht mehr nachgefragt. Meine Hände zitterten ganz schön, als ich die Hebel des Turmluks bewegte, die Hebel widersetzten sich, sie klemmten, und auf einmal knisterte und tickte es in meinem Kopf, und ich schrie und schrie noch einmal, und da ging das Turmluk auf.
    Wenn ich an diese Nacht denke, dann hebt der Chef mich vom Übungspanzer herunter, dann reibt er meine Schultern und den Rücken und hängt mir seine Joppe über, dann packt er mich am Genick und sagt: Das wirst du nie wieder tun, Bruno, nie wieder. Wir gingen zwischen den Fackeln, eine nach der andern blieb zurück oder erlosch, immer wieder gab er kurzen Abschied, kurzen Dank; zuletzt, bei den Baracken, trennten wir uns von dem alten Gollup, der bei feuchtem Wetter oft die Granatsplitter verfluchte, die in seiner Brust wanderten.
    Dorothea erwartete uns schon, ich mußte mich ausziehen, mußte das Plakat abliefern, das sie behutsam glättete und zum Trocknen aufhängte, und dann mußte ich Heißes, Bitteres trinken, von dem mir bald schwindlig wurde, und mußte mich in eine graue Wolldecke wickeln. Weil meine Hände immer noch zitterten, hat Dorothea sie in ihre genommen und sie einfach fest umschlossen, und sie saß bei mir und hat ein paarmal gesagt, daß ich keine Angst zu haben brauchte; auch daß ich zu ihnen gehörte, hat sie gesagt, und daß ich immer bei ihnen bleiben könnte, wenn meine Eltern mich nicht holten. Wir wollen dich nicht loswerden, hat sie gesagt, aber vielleicht suchen dich deine Eltern, und damit sie hierher finden, haben wir dem Roten Kreuz dein Bild geschickt. Später ist auch der Chef zu mir gekommen, und er hat nicht mehr gesagt, als daß es erst einmal aus ist mit der Schule. Er erwähnte mit keinem Wort, daß ich Heiner Walendy das Messer in den Rücken gestoßen hatte, die große Klinge in den Rücken, das erfuhr ich erst am nächsten Morgen, als der Chef nicht wie sonst zum Exerzierplatz hinausging, sondern zur Schule. Als er mir beibrachte, was ich getan hatte, wollte ich es ihm zuerst nicht glauben, aber der Chef hat immer nur gesagt, was zutraf, und deshalb gab es keinen Zweifel daran, daß meine Klinge in Heiner Walendys Schulter gefahren war, leicht und mit Schwung, und ohne daß ich es merkte. Wer weiß, wer mein Messer gefunden hat.
    Jetzt werden sie mich wohl fortschicken, der Chef ist der einzige, der für mich gesorgt und mich beschützt hat, wenn es nötig war, doch nun haben sie ihn entmündigt, und das heißt gewiß, daß er nichts mehr zu sagen hat hier in Hollenhusen. Ich kann mir denken, daß sie ihm von jetzt an nur noch sein Gnadenbrot geben und ab und zu einen Wacholder, sie werden ihm nahelegen, nach Möglichkeit in seinem Zimmer zu bleiben, keine Anweisungen zu geben, keine Kunden durch die Quartiere zu begleiten, nichts. Wenn er nur mal auf die Terrasse käme oder sich zumindest am Fenster zeigte, wenn ich nur einmal mit ihm sprechen könnte unter vier Augen. Vielleicht weiß Magda einen Weg, Magda, die versprochen hat, in der Dunkelheit zu kommen, mit Resten, hoffentlich mit Resten. Der Chef ist der einzige, der verhindern kann, daß ich fortgehen muß, er, dem sie hier alles verdanken, auf den bisher jeder hörte. Sie können doch nicht

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