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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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und Gerstenfeldern hinüber, auch dort standen Tiere, nein, sie standen nicht, sie wateten durch das Getreide, trotteten Schneisen hinein, wobei sie mit langer Zunge die Ähren büschelten und abrissen. Er machte mich auch darauf aufmerksam, daß alle Gatter offenstanden und daß der Behelfsbrücke die tragenden Balken und Bretter fehlten – einige waren ein Stück die Holle hinabgetrieben, hatten sich an der Biegung quergelegt und dämmten das Wasser –, und damit gab er mir zu verstehen, welch einen Umweg sie nun mit den Tieren machen müßten, um sie wieder auf das eingezäunte Weideland zu bringen.
    Am liebsten hätte ich mich auf dem Hügel hingelegt und beobachtet, wie sie die bockigen Tiere von unserem Land abzutreiben versuchten, doch als die Sonne durchkam, erlaubte der Chef sich nicht mehr, untätig zuzusehen, er zog mich zu den Kuschelfichten hinab, die gerodet werden mußten, nicht bereit, den beiden Männern zu helfen, deren Hussa und Prrr und Wu-Ku aus allen Richtungen zu hören war. Manchmal vibrierte die Erde vom Hufschlag rennender Tiere. Manchmal brach ein einzelnes Tier bis zu uns durch, erschrak, sobald es Spitzhacke oder Spaten sah, und wendete gleich wieder. Wir kümmerten uns nicht um das Treiben. Hand in Hand fällten und rodeten wir, und es fiel mir zu, die dünneren, waagerecht kriechenden Nebenwurzeln zu ziehen, die oft genug mit einem Knall rissen; die Mutterwurzeln gruben wir aus. Mitleid hatte ich immer mit den weißen feinen Haarwurzeln; wenn ich die Erdkrümel von ihnen blies, wenn ich sie in den Wind hielt, dann fingen sie an zu zittern, zu strampeln, und es sah aus, als wollten sie weglaufen. Mehrmals habe ich sie abgerupft und gegessen; ich spürte sie kaum zwischen den Zähnen, auch einen eigenen Geschmack konnte ich nicht feststellen, obwohl sie, wie der Chef sagte, für Leben sorgten, Feuchtigkeit und Salze und was sonst noch nötig war, aufnahmen und weiterschickten.
    Ohne den Reiter hätten sie die Tiere nicht forttreiben können. Es war ein junger Mann mit verschlossenem Gesicht, er ritt an uns vorbei ohne Gruß, er umrundete zuerst einmal die Tiere und drängte sie dann zusammen, doch nur, um die Pferde an eine Leine zu nehmen. Im Schritt ging es zur Holle hinunter und an der Holle entlang zur nächsten Behelfsbrücke, und das Vieh trottete hinterher, von Rufen und Drohungen in Bewegung gehalten. Mittags noch kamen ihre Rufe zu uns herüber, sahen wir die Männer durch die Felder laufen, um einzelne störrische Tiere einzufangen, und ich freute mich jedesmal, wenn ein Versuch mißlang. Nachdem sie es schließlich geschafft hatten, gingen sie zur Brücke und fischten Balken und Bretter aus dem Fluß und reparierten alles. Wie lange sie da stehen und zu uns herübergucken konnten! Vermutlich erwogen und bebrüteten sie da etwas, ohne sich einig zu werden.
    Der Chef, der alles mitbekam, lächelte nur flüchtig und sagte einmal: Ich hab das Gefühl, Bruno, daß unsere Mauer von nun an stehenbleibt. Mehr sagte er nicht, und mich hat es nicht gewundert, daß er recht behalten hat.

Max hat mich nicht vergessen, es gibt keinen Zweifel, daß er nach mir Ausschau hält, dort auf der Terrasse, jetzt, nachdem er alle begrüßt und seinen Ratschlag abgegeben hat. Vielleicht will er mich einladen, ihn zur Gerichtslinde zu begleiten oder zum Hünengrab, um mir das Neueste aus der Festung zu erzählen, vielleicht will er mir auch nur erklären, warum er anders war als sonst bei unseren Wiedersehen, er, der meistens gut zu mir war und der immer Geduld hatte mit mir. Daß er zum Hauptweg hinabgeht und weiter in Richtung zum Gewächshaus, kann doch nur bedeuten, daß er mich zu Hause vermutet, also muß ich hinüber, denn er soll nicht vergebens bei mir anklopfen, nur anklopfen, warten und umkehren. Es ist ja auch möglich, daß er mich zum Zuhören braucht, wie schon so viele Male. Die Messer und Scheren kann ich später wegräumen; wenn Joachim seinen abendlichen Kontrollgang macht, wird schon alles an seinem Platz sein.
    Er hat mich erkannt, hat mein Zeichen verstanden. Langsam, altes Haus, sagt er, langsam, und bleibt vor meiner Tür stehen und zeigt schmunzelnd auf die beiden Schlösser, zeigt so ausdauernd auf sie, daß mir gar nichts anderes übrigbleibt, als sie vor seinen Augen zu öffnen. Etwas bedrückt ihn, etwas setzt ihm zu, ich kann es seinen Bewegungen ansehen, der ganzen Art, wie er zu mir hineingeht: nicht gespannt und neugierig, sondern zögernd, als ob er etwas verbirgt,

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