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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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sich mit sich selbst. Und dann sammelten wir gemeinsam ein, was verstreut war, und zogen wortlos unsere Mauer hoch, nicht mehr genau auf der Grenzlinie, sondern erkennbar auf unserm Teil, das Klicken und Poltern der Steine begleitete unsere Arbeit, und als Dorothea mit dem Korb kam, warf die Mauer schon einen schmalen Schatten.
    Sie bestand nur wenige Tage, wieder fanden wir sie an einem Morgen abgetragen, in weitem Umkreis, wütend hierhin und dorthin geschleudert, lag alles, woraus wir sie gebildet hatten, und nicht nur dies – mir kam es so vor, als ob da noch eine zusätzliche Ladung Steine auf unser Land gekarrt worden wäre, dazu rostige Teile von Landmaschinen und ein paar Stubben und Stacheldraht und eine löchrige Eisenbalje. Ich konnte gar nichts sagen, so erschrocken war ich, so ratlos, ich sah immer nur den Chef an, dessen Gesicht ganz dunkel wurde vor Erbitterung, der aber dennoch schweigend über das Land blickte, registrierend, als wollte er den Schaden bemessen, der uns zugefügt worden war, und nach einer Weile nickte er und sagte mit einer Stimme, in der weder Zorn noch Empörung war: Na, denn man los – und das war schon alles.
    Er hörte mir nicht zu, er überging einfach meinen Vorschlag, ein paar Fallgruben zur Holle hin auszuheben und die schön zu tarnen, er schwieg auch zu meinem Plan, nachts auf Wache zu gehen; mit langsamen Bewegungen, wie geistesabwesend, schleppte er die verstreuten Dinge zusammen und hielt mich so dazu an, es ihm nachzutun.
    Und wir schleppten und karrten und zogen abermals unsere Mauer hoch, und diesmal verging ein ganzer Tag, bis wir es geschafft hatten. Im Sonnenuntergang ruhten wir uns aus. Hinter Hollenhusen glomm es, leuchtete es gelbrot mit rätselhaftem Widerschein. Der Chef sagte: Nur aufhalten, Bruno, uns können sie hier nur aufhalten, aber niemals fertigmachen; das hat er gesagt, und ich mußte an seine neun Narben und zwei Schiffbrüche denken und daran, daß er eine Verschüttung in Rußland überlebt hatte, ein Zugattentat in Belgien, und daß es ihm als einzigem gelang, aus einem Hinterhalt zu entkommen, in den seine Kompanie in Kroatien geraten war.
    Wortlos gingen wir nach Hause, und in der Nacht träumte ich von dem größten Findling der Welt, ein ganzes Dorf hatte auf ihm Platz gefunden, Höfe, Kirche, Schule, Gemeindehaus, der Findling war nur sanft gebuckelt, und wo die Sonne auf ihn traf, funkelten Quarz und Glimmer. Und ich träumte, daß der Chef und ich den Findling heimlich vermaßen und dann so, daß es keiner merkte, die längste und stärkste Kette um ihn brachten, die sich denken läßt, eine Kette, die im Dänenwäldchen zusammenlief. Hier führte der Chef in der Dunkelheit alle Pferde hinein, die er auf den Koppeln um Schleswig fand, und als er hundert Pferde beisammen hatte, spannte er unter einem Gewitter an und erreichte es mit einem einzigen Kommando, daß alle Tiere zugleich anzogen, und ihre gesammelte Kraft lockerte den Findling, machte ihn nachgiebig und brachte ihn ins Gleiten mit allem, was er trug. Einmal fragte ich den Chef, wie weit er den Findling fortziehen wollte, und er sagte: Hinter den Horizont, ans Meer. Doch so weit kamen wir nicht, weil aus dem Loch, das der Findling zurückließ, Soldaten in den seltsamsten Uniformen heraufstiegen, es waren zumeist bärtige Soldaten, und sie schwärmten aus ohne Befehl und begannen, auf die Pferde zu schießen, mit fröhlichem Piff-Paff dezimierten sie das größte Gespann, das es je gegeben hat, bis zuletzt nur noch zwei Pferde übrig waren. Als sie den Chef und mich auf die beiden Pferde binden wollten, wachte ich auf und linste gleich zum Lager des Chefs hinüber; es war leer.
    Und ich weiß nicht, wie verwirrt ich war, als wir tags darauf den von uns so genannten Kommandohügel hinaufstiegen. Wie so oft lag leichter Morgennebel über dem Exerzierplatz, und aus dem bereits ziehenden Nebel hoben sich die Rücken trabender Pferde und die Silhouetten grasenden Viehs, und zwischen ihnen gingen zwei Männer und fuchtelten und brüllten, um die Tiere abzudrängen, zur Holle hinunter, zu den Wiesen und Koppeln von Lauritzen. Die Tiere wollten nicht parieren, sie spielten mit ihren Treibern und foppten sie, es machte Freude, zuzusehen, wie sie aus dem Stand den schweren Bug herumwarfen oder durch plötzlichen Trab Abstand gewannen. Auch dem Chef schien es Freude zu machen, denn er lächelte und zeigte keine Eile, mit der Arbeit anzufangen. Er stieß mich an und deutete zu den Hafer-

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