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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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tröstete sie. Das aber machte sie nicht zufriedener, sie sorgte sich, sie litt wohl auch darunter, daß sie ihr Versprechen nicht halten konnte, manchmal glaubte ich schon, daß sie mir aus dem Weg ging, um nicht an ihre Schulden erinnert zu werden, und weil das auch mich bedrückte, dachte ich mir einen Plan aus, wie ich ihr alles erlassen könnte, den ganzen Betrag auf einmal.
    Zeichen lesen, ich hab mir viele verschiedene Zeichen ausgedacht, die kreuz und quer über unser Land führten, zu meinem Versteck, zu dem alten Bootsskelett; mit ausgelegten Steinen, mit abgebrochenen Ästen, mit Läppchen und buntem Papier, das ich an Jungpflanzen befestigte, markierte ich einen Weg, und nach anfänglichem Zögern und geduldigem Zureden war Ina einverstanden und nahm meinen Vorschlag an: sie wollte versuchen, mich mit Hilfe der Zeichen in meinem Versteck aufzustöbern. Vergnügt war sie nicht, auch nachdem sie zugestimmt hatte, waren ihr noch Bedenken anzusehen, vielleicht glaubte sie, daß ich es ihr zu leicht machen würde, die Schulden auf einmal loszuwerden. Am Findling, den der Chef und ich ausgegraben hatten, sollte die Suche beginnen; ein Pfeil, mit Kreide auf den verwitterten Buckel geschrieben, zeigte die Richtung an, in der Ina zu gehen hatte – ohne zu wissen, daß mein Versteck dicht beim Findling lag.
    Aus meiner Deckung beobachtete ich, wie gut sie sich zu Beginn zurechtfand, prüfend lief ihr Blick hin und her, von der Erde zu den Pflanzen, den Pfählen; einige Zeichen steckte sie in die Tasche, mitunter schien sie sich über sich selbst zu amüsieren, besonders wenn sie etwas fortwarf, was sie für ein Zeichen gehalten hatte, einen Stock oder die Scherben eines Blumentopfs. Bald war sie in den Quartieren der Jungpflanzen, rätselte ein bißchen bei den Lebensbäumen, fand aber die Flasche, die auf den alten Kommandohügel zeigte und erstieg ihn und verschwand gleich darauf in der Senke. Ich zweifelte nicht, daß sie den weißen Pfeil an unserer Bude entdecken und einmal um die Bude und die Saatbeete herumgehen würde bis zu dem großen Pfeil, an dem bereits das erste Zeichen für den Rückweg lag, und ich freute mich schon und überlegte mir, wie sie mich vorfinden sollte in meinem Versteck. Totstellen, ich wollte mich totstellen und erst aufspringen, nachdem sie mich angestupst hatte; das nahm ich mir vor.
    Ina kam nicht. Ina fand mich nicht. Ich lag und wartete und hielt Ausschau nach ihr, ich verließ mein Versteck, trat offen hin, stieg auf den Findling, zuletzt lief ich auf den Kommandohügel hinauf, von wo aus ich alles überblicken konnte. Ina war nicht zu sehen. Eine Weile habe ich noch dort oben gesessen, dann zog ich los, um sie zu suchen, ich suchte überall, auf dem Land, an der Holle, am versengelten Bahndamm, doch Ina tauchte nicht auf, und auch auf dem Kollerhof wußte keiner, wo sie war. Als es dunkel wurde, kam die Angst, ich spürte sie im Bauch, in den Schläfen, als Ameisenzug auf der Haut, gleich nach dem Essen stieg ich in meine Kammer hinauf.
    Es kann nicht allzu spät gewesen sein, als Ina nach Hause kam, sie bekam keine Vorwürfe zu hören, dafür aber wurde sie gelobt, weil sie ihre Fliederbeersuppe aufaß und alle Grießklöße dazu. Nach mir fragte sie nicht; dennoch ist sie nicht bei den andern geblieben, die jeden Abend in ihren Büchern lasen; sie hat nur eine Weile leise mit dem Chef gesprochen, danach ist sie nach oben gekommen, gleichmäßig, so daß sich aus ihrem Schritt nichts herauslesen ließ, und vor unseren Türen ist sie einen Augenblick stehengeblieben, als ob sie sich noch bedenken müßte.
    Dann hat sie bei mir geklopft. Dann ist sie mit dem zweiten Klopfen hereingekommen und hat flüsternd gefragt: Schläfst du, Bruno? Ich richtete mich auf und räumte meine Sachen vom Hocker, wischte sie einfach herunter, und Ina setzte sich im Schein meiner Taschenlampe und lächelte bekümmert und sah immer auf das Stück Papier hinab, das sie zwischen den Fingern drehte. Ich erkannte es wieder. Es war der kleine Brief, den ich an den Pfahl gepinnt hatte als erstes Zeichen für den Rückweg, mit Bleistift hatte ich darauf geschrieben: Damit Ina mich findet. Du mußt nicht traurig sein, sagte ich, du hast die meisten Zeichen entziffert, und das genügt, jetzt schuldest du mir nichts mehr. Ich sagte auch: Du bist eine gute Zeichenleserin, ich hab dich heimlich beobachtet. Ihr Ernst auf einmal, ihr Ernst und die langsamen verneinenden Bewegungen ihres Kopfes; sie beugte sich

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