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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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hinweg, über denen an manchen Stellen leichter Dunst liegt. Am Ende, sagt er, wenn du alles verfehlt hast, möchtest du zumindest irgendwohin gehören.
    Sein Atem geht gedrängt, manchmal pfeift es aus ihm, er kann das Tütchen nicht ruhig halten zwischen seinen Fingern, etwas plagt ihn, immer wieder wischt er sich über Stirn und Augen, und seine Schuhe, die läßt er mit leichtem Klappen zusammenschlagen. Ich will nicht fragen, doch ich frage plötzlich: Wann kommt mal der Chef? Und da Max sich mir zuwendet, sage ich noch einmal: Einige vermissen ihn schon. Er sieht mich so forschend an, als ob er mich für etwas in Verdacht hätte, er, vor dem ich selten etwas verborgen habe, kommt nicht von mir los, diese Kälte auf einmal, diese Wißbegier und das langsam entstehende Mißtrauen, das ich kaum noch aushalten kann, er rückt ab von mir, um mich besser ins Auge zu fassen, und jetzt senkt er sein Gesicht, wie in schmerzhaftem Zweifel. Sag mir, Bruno, hast du nicht einen Brief bekommen, einen Brief aus Schleswig? Nein, sage ich, der letzte Brief, den ich bekam, der war von Simon, dem alten Soldaten, vor neun Jahren schickte er mir seine Skizzen und Pläne. Wann ich den Chef zum letzten Mal gesprochen habe, das weiß ich genau: am vergangenen Dienstag, es war am Abend, ich zog mir die weichen Nadeln aus den Fichten und kaute sie, da hat er mich überrascht. Und was sagte er zu dir? Er hat mich nur gewarnt, und das war alles.
    Warum lächelt er so mühsam, warum greift er sich die Meßlatte und beginnt, eine Rinne zu kratzen zwischen zwei Pfützen, eine Rinne mit Gefälle, so daß das Wasser sich vereinigen kann? Warum will er, daß wir jetzt durch die Kulturen gehn, nur ein Stück, vielleicht bis zur Holle hinunter? Magst du nicht, Bruno? Doch, sage ich und sehe mich nach Ewaldsen um und winke dem Vorarbeiter zu, der schon erkannt hat, mit wem ich zusammensitze.
    Warum ist es nicht wie sonst, wenn ich Max begleiten durfte, warum will die Freude nicht aufkommen, die doch immer da war, wenn er neben mir ging und mir erzählte, wie man das Glück entdecken kann, mir erzählte, weshalb einer umso mehr er selbst ist, je weniger er hat. Gib auf den glitschigen Weg acht, sage ich. Ach, Bruno, sagt er, nirgends, glaub ich, wäscht der Regen so das Land wie hier bei euch, schau dir nur an, wie das leuchtet. Wie in vergangener Zeit möchte ich ihm das Sprechen überlassen, ihm nur zuhören, doch er spricht kaum, er muß seine Fülle und Ungelenkheit ausbalancieren beim Gehen.
    Bei einer Regentonne bleibt er stehen, er schöpft ein paar Insekten heraus, netzt sein Gesicht und blinzelt mich an unter verklebten Wimpern, und ich merke schon, daß er mich etwas fragen möchte, was ihm nicht leicht fällt. Und nun, Bruno, wirst du mir etwas zeigen, ja? Was, frage ich, und er darauf: Unser bestes Land, unser fruchtbarstes Land, das Stück, das du dir aussuchen würdest, wenn du die freie Wahl hättest; komm, zeig es mir. Der Chef, sage ich, nur der Chef kann das bestimmen, es ist sein Land vom Bahndamm bis zur Holle, er weiß besser als jeder andere, wo die Pappel gern steht und wo die Schattenmorellen und die Spießtanne, er braucht nur eine Handvoll Erde aufzunehmen, dann weiß er schon, für wen was gut ist. Das ist wahr, sagt Max, keiner kennt sein Land so wie er, aber ich möchte wissen, welches Stück du für das wertvollste hältst, welches du dir aussuchen würdest, wenn man es dir schenkte oder überschriebe.
    Vielleicht die Senke, sage ich, das Land vom Findling bis zur Senke und dann den grauweißen Boden bis zur Steinmauer, den ganzen Norden des alten Exerzierplatzes. Ich zeige in die Richtung, in der der Findling liegt, schwenke über die Kulturen hinweg, schlage mit der Hand einen Kreis und stecke alles zeichenhaft ab bis zur Steinmauer, hinter der das feuchte Land beginnt. Er geht mit sich zu Rate, erinnert da etwas, vergleicht da etwas in Gedanken; wenn Max nicht so müde wäre, könnte ich ihm das nicht ansehen, und jetzt nickt er zufrieden, als hätte er ermittelt, worauf es ihm ankam.
    Schnell muß ich ihm von meinem Traum erzählen; also mir träumte: einmal war ein Rauschen und Flattern in der Luft, es knackte in der Dunkelheit, es knisterte und stelzte und bohrte, da schlugen Hölzer aufeinander, Laubwolken stiemten am Fenster vorbei, ein heftiges Pinselgeräusch, als ob Büsche sich schüttelten, war zu hören, und als ich hinausguckte, da traute ich meinen Augen nicht: all unsere Bäume und Büsche und Pflanzen

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