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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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auf, sagt Joachims Stimme, alle Scherben, und geben Sie acht. Er ist nicht allein, das ist sicher, jetzt kann ich nicht mit dem Chef sprechen, ihn fragen, was nur uns beide angeht, jetzt nicht; am besten, ich verschwinde wieder, such mir eine andere Gelegenheit, hoffentlich komm ich hier ungesehen wieder raus. Wie kühl das Schiffstau ist, das hier als Treppengeländer dient, es ist schon eingedunkelt von vielen verschwitzten Händen, hinaufziehen kann man sich gut, nur beim Runtergehen, da schwingt es und gibt gefährlich nach. Türen, manchmal muß ich denken, die vielen Türen sind nur zum Horchen da, das schleicht sich an und lauscht und weiß auf einmal, was kein anderer weiß: wenn ich ein Haus hätte, ein richtiges, dürfte es nur eine einzige Tür geben, durch die man hereinkommt und rausgeht, und vielleicht eine Geheimtür für mich allein.
    Bruno? Bist du es, Bruno? Joachim hat mich von hinten erkannt, ich kann ruhig stehenbleiben und mich umsehen, es ist kein Vorwurf in seiner Stimme, nicht mal Überraschung, er lächelt schmerzlich, hält mir schon wieder die Hand hin. Ich vermute, du willst zum Chef, sagt er, und ich nicke und sage: Ich wollte nur mal mit ihm sprechen, nur einen Augenblick. Du mußt wohl wiederkommen, sagt Joachim, es tut mir leid, aber der Arzt ist gerade bei ihm. Krank, ist der Chef krank? Nichts Ernstes, sagt Joachim, nur Gleichgewichtsstörungen, so allgemeine Schwäche und Gleichgewichtsstörungen. Er klopft mir auf die Schulter, er sagt: Das geht wohl bald vorüber. Du weißt ja, daß ihm nichts etwas anhaben kann, nur ein paar Tage Ruhe, und er ist wieder der alte. Wie selbstverständlich er mich wegzieht, er will gar nicht wissen, ob ich nur von mir aus zum Chef will, oder ob der Chef mich zu sich bestellt hat, er hakt mich ein und zieht mich langsam weg, drückt mich leicht gegen die Wand, weil Magda vorbei muß mit einer Schaufel voller Scherben, mit einem Tablett, auf dem eine angesprungene Karaffe steht und zwei ebenfalls kaputte Gläser. Wir schauen uns nicht an, Magda und ich, wir übersehen uns einfach, so, wie sie es immer haben wollte, das drückt auf den Magen, der Mund wird ganz trocken auf einmal, doch ihr scheint es wohl kaum etwas auszumachen, sie hält Joachim das Tablett hin und fragt ruhig: Vielleicht kann man sie leimen, die kostbare Karaffe? Nein, sagt er, das lohnt sich wohl nicht, und jetzt geht sie schon wieder, als ob nichts mehr zu sagen wäre.
    Noch nie hat Joachim mich so lange begleitet, erst hier bleibt er stehen, in der Diele, unter dem Bild seines Großvaters, der schuldbewußt auf uns herabguckt. Tja, sagt er und bedauert noch einmal, daß ich umsonst gekommen bin, tröstet sich aber gleich mit der Verabredung, die wir an der Mauer getroffen haben: Du kommst mal auf einen Abend, Bruno, wir geben dir bald Bescheid. Was soll ich machen, ich kann doch den Apfel nicht zurückweisen, den er von der Schale nimmt und mir in die Tasche steckt.
    Wenn ich jetzt nur ungesehen zu mir könnte, schnell abschließen und den Riegel vor und keinem öffnen, der weniger als siebenmal klopft, keinem, aber ich kann nicht an ihnen vorbei, diesmal nicht, die kleine Plage hat wohl auf mich gelauert dort in meinem Rhododendron, noch glaubt sie sich unentdeckt. Bestimmt haben sie einen Klumpen von Kletten gesammelt, gleich wird einer von ihnen das Kommando geben, und darauf werden sie um mich herumtanzen, werden sich recken und mir überall Kletten anmachen, doch ich werde so tun, als ob ich gar nichts merke; ich werde sie nicht an ihren zarten Hälsen packen, sondern ruhig weitergehn bis zu mir, ihr Schmähgeschrei werde ich überhaupt nicht hören. Nun kommt schon heraus und überrascht mich, zeigt schon, was ihr diesmal für mich ausgedacht habt.

Nicht jetzt, ich werde ein andermal in dem Buch von Max lesen, bald wird es dunkel, und heute möchte ich bei mir kein Licht machen, heute nicht. Wenn ich nur wüßte, was mir bevorsteht, wie alles kommen wird, wenn ich das nur wüßte! Auf dem Kollerhof, da war es einfacher, da wußte ich fast alles im voraus, weil mir kaum etwas entging, was der Chef unten in der Wohnstube mit Dorothea beredete und beschloß, ich wußte früher als andere, wann wir uns an einer Ausschreibung für Forstgehölze beteiligen würden, wußte im voraus, was ich zum Geburtstag und was zu Weihnachten bekommen würde; da der Chef die größten Umsätze mit Obstgehölzen machte, wußte ich, welche Quartiere wir demnächst erweitern und vermehren

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