Lenz, Siegfried
ich dort eintrete, ohne daß mich einer gerufen hätte – ich muß zu ihm gehen, muß mit ihm sprechen, nicht nur, damit ich weiß, wie alles wird mit mir, ich muß außerdem rückgängig machen, was er beschlossen und verfügt hat, oder was er vorhat zu verfügen. Das karierte Hemd und die graue Hose, so kann ich zu ihm gehen, vermutlich sitzt er allein in seinem Zimmer, nur wenn er allein ist, werde ich mit ihm sprechen, ihn darum bitten, daß er mich nicht bedenkt, mit dem Stück Land nicht und mit den Einrichtungen nicht – falls das überhaupt stimmen sollte. Aber die Angst, die sagt mir, daß es stimmt, daß er etwas unterschrieben hat zu meinen Gunsten, auf meine Angst konnte ich mich noch immer verlassen. Soll den Hauptweg nehmen, wer will, ich geh an der Windschutzhecke entlang, an den Rosenbeeten bin ich schnell vorbei, und wenn ich erst unter den Rhododendren bin, bemerkt man mich nicht so leicht, die Rhododendren vor meinem alten Kellereingang haben mich oft beschützt.
Einmal waren viele Leute auf der Terrasse, sie drängten sich nur so, um dem Chef zu gratulieren, es waren gewiß hundert feiertäglich gekleidete Leute, die um ihn herumstanden und das Kreuz am Band bewundern wollten, das Verdienstkreuz, das er frisch bekommen hatte, und ich stand lange in den Rhododendren und konnte alles aus der Nähe beobachten, ohne daß mich einer entdeckt hätte. Und später, als einige schon in die Festung gegangen waren, konnte ich sogar einige gute Reste von den Tabletts angeln, ohne daß es einer bemerkt hätte.
Magda hat da vielleicht gestaunt. Aus den Obstschalen in der Diele will ich diesmal lieber nichts nehmen, obwohl Dorothea es mir erlaubt hat, die bunten Schalen sind auch heute gefüllt, ich möchte nur mal wissen, wer das Obst bekommt, wenn es zu mulschen beginnt. Die Stimmen kommen aus der Halle, die Stimme von Max und die von Murwitz: Wollen Sie bei Ihrem Vorschlag bleiben, Herr Doktor? Ich halte ihn für aussichtsreich, Herr Professor. Auch Inas Stimme meldet sich, sie bietet Tee an und Gebäck. Am besten, ich gehe gleich die Treppe hinauf, den langen Flur hinab, wo die Stiche hängen, die Ginster-Stiche, Färberginster, Stechginster und der Gemeine Besenginster; da wo der Deutsche Ginster hängt, ist seine Tür. Ich werde mich nicht anmelden, ich werde einfach bei ihm anklopfen und da sein, und falls mich vorher einer aufhält, werde ich nur sagen, daß ich zum Chef muß in dringender Angelegenheit.
Zuletzt war ich hier, als die Dohlen uns heimsuchten, der ganze Himmel war auf einmal dunkel von Vögeln, ein lärmender Himmel, der sich auf unsere Quartiere hinabsenkte, zänkisch und rücksichtslos. Wer weiß, woher all die Vögel kamen, die zuerst nur ihre Schleifen zogen und in unberechenbaren Formationen aneinander vorbeistiemten wie in Schaukämpfen, plötzlich aber niedergingen auf die jungen Gehölze, so plump und zahlreich, daß die Äste unter ihnen wegbrachen. Sie stritten sich um die Äste, sie wollten unbedingt nebeneinander hocken, und ihr Streit und ihr Gewicht machten, daß noch mehr wegknickte und brach; was sie nicht ertrug, das knickte weg. Es sah so aus, als hätten sie sich vorgenommen, unsere Quartiere zu verwüsten, und da mein Klatschen sie nicht vertrieb, mein Schreien nicht und nicht mein Fuchteln, lief ich zum Chef, ich rannte hier herauf und klopfte nur einmal an und weckte ihn auf. Er war am Schreibtisch eingeschlafen, doch als er sah, was draußen passierte, wußte er sofort, was zu tun war; er ließ seine Büchse im Ständer, er zog mich runter zu dem Schuppen, in dem einige harte, funkelnde Teerblöcke lagen, die schleppten wir hinaus, nachdem er die Windrichtung geprüft hatte. Schnell hatten wir einige Baljen und Roste aufgestellt, der Chef goß Benzin über die Teerblöcke, und dann stieg sie auf, eine Schwefelwolke, gelb und giftgrün, nein, sie stieg nicht auf, sie wälzte sich auf die Gehölze zu, durchzog alles mit stinkendem Nebel, und Tausende und Tausende von Dohlen lüfteten sich und kreisten lärmend über der Wolke, bis sie ihrem Anführer folgten und abzogen.
Einer kommt hinter mir her mit schnellen Schritten, vielleicht hat er bemerkt, daß ich hereingekommen bin, ich werde einfach weitergehn, erst einmal die Treppe hinauf, die zu den Schlafzimmern führt und zu dem großen Spielzimmer von Tim und Tobias. Es ist Magda, es ist ihre Schürze, mit Schaufel und Handfeger läuft sie vorbei zur Tür des Chefs, klopft jetzt und wartet. Bitte, nehmen Sie das
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