Lenz, Siegfried
Nächten, in denen der Hakenmann durchgegangen war mit seinem schlimmen Werkzeug. Ich mußte zum Dänenwäldchen, zu meiner Baumwohnung, die ich mir hoch in den Ästen einer alten Buche gebaut hatte, alles dicht verflochten und mit zahlreichen Gucklöchern, ich wollte nur nachsehen, wieviel der Sturm übriggelassen hatte von meinem schwingenden Versteck, zu dem das Stöhnen der verwundeten Soldaten nur gedämpft heraufkam. Wie immer schnitt ich auch damals den Weg ab, ging über die Wiese zwischen tausend Maulwurfshügeln auf den Großen Teich zu, und da sah ich den Chef, sah gleich, daß er da etwas gepackt hielt und hinter sich herschleifte, etwas Geflecktes, etwas braunweiß Geflecktes. Schon lief ich, rief und winkte und lief.
An einem Hinterlauf zog er einen toten Hund, es war einer von Lauritzens gefleckten Hunden, einer der beiden, die fast jede Nacht in unseren Kulturen jagten, in erfolgreichem Zusammenspiel; bei Mondhelle hatte ich selbst einmal gesehen, wie der eine Hasen oder Kaninchen aufstöberte, hochschreckte und sie dem andern zutrieb, wobei es über Jungpflanzen und Saatbeete ging, in wilden Haken, das riß und flog nur so; die konnten in einer halben Stunde verwüsten, was wir in drei Tagen angelegt hatten. Alle Bitten und Aufforderungen des Chefs, Lauritzen möchte seine Hunde nachts einsperren, waren unbeantwortet geblieben.
Ich erschrak wohl ein bißchen, als ich den toten Jagdhund sah, ich blieb stehen, doch der Chef winkte nur knapp und ließ mich anpacken, und gemeinsam schleiften wir ihn zum Großen Teich. Dort, am Ufer, wo ich mich oft zum Trinken hinlegte, dort fragte er mich, ob wir den Hund lieber begraben oder versenken sollten, und ich war gleich für versenken und rannte schon los, um Steine zu suchen, schwere, längliche Steine, die sich leichter umschnüren lassen als runde. Am Rande des Dänenwäldchens war ein Steinhaufen, bemoost schon, von Brombeerranken überwachsen, dorthin lief ich, und als ich die Ranken zur Seite bog, fand ich die Schrotpatrone, die warme Hülse; ich brachte sie dem Chef, er roch an der Hülse und wollte sie in den Teich werfen, besann sich aber plötzlich und sah mich eindringlich an und sagte: Hier, Bruno, nimm es, hier hast du etwas, das so gut ist wie ein Beweis. Warum er mir die Patronenhülse gab, hab ich nie herausgekriegt, aber er gab sie mir, und ich nahm mir vor, sie in mein Jackenfutter einzunähen, um sie nicht so schnell zu verlieren.
Jeder von uns hat dann einen Stein an den Jagdhund gebunden, der Chef am Hals, ich an den Hinterbeinen, und dann hoben wir das Tier auf, dem aus vielen kleinen Wunden Blut sickerte, hoben es auf, schwangen es hin und her, der Chef zählte eins – zwei – drei, und gleichzeitig ließen wir los. Es platschte ganz schön, und Binsen und Schilf gerieten durch die auslaufenden Wellen in Bewegung, schwangen sanft hin und her, und wo das beschwerte Tier unten ankam, da stiegen Blasen auf, es burbelte wie von einer heimlichen Quelle, kochte sich aus; erst nachdem sich alles beruhigt hatte und das Wasser nichts mehr verriet, wuschen wir uns die Hände und setzten uns auf einen verrotteten Erlenstamm. Er sagte nicht viel, der Chef, aber er sagte: Uns bringt nichts auseinander, Bruno, das versprech ich dir.
Wie still die Festung daliegt, nichts regt sich, keiner läßt sich an den Fenstern blicken, man könnte denken, sie hätten das große Haus verlassen, aber ich weiß, daß sie dort alle versammelt sind und unaufhörlich beraten, Dokumente prüfen, Vollmachten unterschreiben, sich vielleicht auch streiten, und bestimmt ist einer von ihnen immer am Telefon, es zirpt und summt und knistert in den Drähten, die von uns zum Bahnhof Hollenhusen führen und dann an den Gleisen entlang bis nach Schleswig. Wegen Geistesschwäche also und wegen Gefährdung des Familienbesitzes soll der Chef entmündigt werden, so wollen sie es haben, und bei allem vertritt Herr Murwitz ihre Interessen.
Wenn ich wüßte, woher die Angst kommt auf einmal, etwas zieht sich zusammen, der Löffel klirrt schon in der Tasse, er hat mir die Angst gebracht, dieser fremde Mann mit seinen Fragen und Erklärungen. Einschließen, am liebsten möchte ich mich bei mir einschließen und nicht mehr herauskommen, bis der Chef selbst an meine Tür klopft und mich mit hinausnimmt zu den Blautannen und mir eine Arbeit zuteilt, aber er wird nicht mehr von selbst kommen, das spür ich. Ich muß zu ihm, jetzt.
Auch wenn sie sich wundern werden in der Festung, daß
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