Leon, Der Slalomdribbler
sie allerdings nur einen Kassettenrekorder, der die Stimmen ihrer Söhne abspulte. Juli und Joschka, das konnte sie gerade noch durchs Wohnzimmerfenster erhaschen, rannten längst schon die Straße hinab. Und sie waren, auch das konnte sie sehen, überhaupt nicht mehr quengelig drauf.
Auch Fabi im Haus schräg gegenüber sah durch sein Wohnzimmerfenster, wie die beiden die Straße hinabstürmten. Doch im Gegensatz zu Juli und Joschka war er viel zu konzentriert, um grinsen zu können. Fabi stand nämlich gerade auf der Lehne eines Stuhls, der wiederum mit seinen vier Beinen auf vier wackligen Türmen aus Büchern balancierte. Von dort aus versuchte er, seinen Fußball vom Wohnzimmerschrank zu fischen, selbstverständlich ohne dabei die teuren Porzellanteller seiner Mutter ins Jenseits zu befördern.
Fabi hielt die Luft an. Seine Fingerspitzen hatten den Ball. Vorsichtig, ganz vorsichtig, hob er ihn an. Da kippte der Stuhl. Fabi verlor das Gleichgewicht, und das Wort ,Mist‘ war das freundlichste Wort, das ihm in dem Moment durch den Kopf schoss, als zwei der Porzellanteller langsam auf den Rand des Schrankdaches zurollten. Sofort ließ Fabi den Ball los. Er führte einen wahren Bauchtanz auf der Stuhllehne auf, um das Gleichgewicht zurückzugewinnen, und wollte gerade von der Stuhllehne springen, als der Stuhl wieder stand. Er stand im letzten Moment, denn im allerletzten Moment konnte Fabi die Porzellanteller auffangen, bevor sie auf dem Marmorfußboden des Wohnzimmers zerschellten.
„Puh!”, stöhnte Fabi und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Da rollte sein Fußball vom Schrank und plumpste direkt in die Arme seiner Mutter hinein, die jetzt unter ihm stand. Ihr Blick verlangte eindeutig nach einer Erklärung und die konnte ihr Fabi auf keinen Fall geben.
„Puh!”, stöhnte er. „Da hat nicht sehr viel gefehlt!”
Jetzt hatte er nur sein unwiderstehliches Lächeln, doch mit diesem unwiderstehlichen Lächeln hatte Fabi auch die besten Ideen. Lächelnd hielt er seiner Mutter die geretteten Teller entgegen. „Was hältst du davon, wenn wir tauschen? Du kriegst die Teller und ich krieg ... den Ball?” Das letzte Wort blieb ihm angesichts des Gesichtsausdrucks seiner Mutter noch im Hals stecken. Er räusperte sich ziemlich verlegen. Dann machte er einen letzten Versuch, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
„Ähm, weißt du, ich dachte ja nur, ich ...”, stammelte er.
„Mach, dass du rauskommst!”, verlor seine Mutter ihre Geduld: „Aber sofort!“
Fabi grinste erleichtert.
„Oh, Mann! Ich hab es gewusst. Du bist ein echt cooler Schatz! Weißt du das, Mama?” Mit diesen Worten sprang er vom Stuhl, drückte seiner Mutter zum Fußball die beiden Porzellanteller in die Hand und einen Kuss auf die Wange und stürmte Richtung Haustür davon, als das Telefon klingelte. Instinktiv packte Fabi den Hörer: „Ja, was ist? Ich hab keine Zeit!”
Doch am anderen Ende der Leitung war es ganz still.
„Hey, wer ist da?”, rief Fabi jetzt noch ungeduldiger, als er das Atmen auf der anderen Seite erkannte.
„Oh, Mann! Maxi, was soll denn der Mist!”, stöhnte Fabi. „Ich dachte, du bist längst auf dem Bolzplatz!”
Doch Maxi, der am anderen Ende der Leitung in der piekfeinen Alten Allee Nr.1 stand und seiner Mutter beim Hausputz zusah, sagte noch immer kein Wort.
Fabi konnte nur den Staubsauger hören.
„Verflixt, du hast Hausarrest! Tschuldigung Maxi, hab ich beinah vergessen. Und du kommst nicht raus aus dem Haus, hab ich Recht?”
Maxi nickte. Er sagte kein Wort.
Fabi verdrehte die Augen.
„Maxi, verflixt, ich hab überhaupt keine Zeit!”
Doch Maxi schwieg immer noch und sein Gesichtsausdruck war wirklich verzweifelt.
„Also gut!” Fabi blies die Luft aus den Wangen. „Kannst du ins Badezimmer?”
Wieder schwieg Maxi, doch das interessierte Fabi nicht mehr.
„Maxi, das Badezimmerfenster liegt direkt über eurer Garage. Und daneben steht der alte Apfelbaum. Der, den dein Vater schon seit Jahren umhauen will. Aber leider ist er handwerklich nicht gerade begabt. Maxi?”
Maxi hatte aufgelegt und war schon längst im Badezimmer verschwunden.
„Puh! Das wurde aber auch Zeit!”, stöhnte Fabi und hängte ebenfalls ein.
Sein Blick traf den seiner Mutter, die ihn, immer noch mit Fußball und Porzellantellern in der Hand, kopfschüttelnd ansah. Er hob ratlos die Arme.
„Mein Gott, Mama, was soll ich denn machen, wenn er selbst nicht drauf kommt!” Jetzt
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