Léon und Louise: Roman (German Edition)
Hauptsache unseren Frauen. Alle meine Schwägerinnen, Tanten und Großmütter väterlicherseits sind starke, lebenstüchtige und warmherzige Frauen, die ein diskretes, aber unbestrittenes Matriarchat ausüben. Sie sind beruflich oft erfolgreicher als ihre Männer und verdienen mehr Geld, und sie kümmern sich um die Steuererklärung und schlagen sich mit den Schulbehörden herum. Die Männer ihrerseits danken es ihnen mit Verlässlichkeit und Sanftmut.
Wir sind, glaube ich, eher friedfertige Ehemänner. Wir lügen nicht und geben uns Mühe, nicht in gesundheitsschädigendem Maß zu trinken; wir halten uns von anderen Frauen fern und sind willige Heimwerker, und ganz gewiss sind wir überdurchschnittlich kinderlieb. Bei unseren Familienzusammenkünften ist es guter Brauch, dass die Männer sich nachmittags im Garten um die Säuglinge und Kleinkinder kümmern, während die Frauen an den Strand oder zum Einkaufen fahren. Unsere Frauen wissen es zu schätzen, dass wir für unser Lebensglück keine teuren Autos brauchen und nicht zum Golfspielen nach Barbados fliegen müssen, und sie sehen es uns milde nach, dass wir zwanghaft auf Flohmärkte gehen und sonderbares Zeug nach Hause schleppen – fremder Leute Fotoalben, mechanische Apfelschäler, ausgediente Lichtbildprojektoren, für die es längst keine Lichtbilder im richtigen Format mehr gibt, echte Ferngläser der Kriegsmarine, durch die man alles verkehrt herum sieht, chirurgische Sägen, rostige Revolver, wurmstichige Grammophone und elektrische Gitarren, denen jeder zweite Bund fehlt – wir schleppen gern sonderbares Zeug nach Hause, das wir dann monatelang polieren und putzen und instand zu setzen versuchen, bevor wir es verschenken, zurück zum Flohmarkt tragen oder auf den Müll werfen. Wir tun das zur Erholung unseres vegetativen Nervensystems; Hunde essen Gras, höhere Töchter hören Chopin, Hochschulprofessoren gucken Fußball, und wir basteln an altem Zeug rum. Erstaunlich viele von uns fertigen übrigens abends, wenn die Kinder schlafen, im Keller kleinformatige Ölbilder an. Und einer schreibt, das weiß ich aus erster Hand, heimlich Gedichte. Nur leider nicht sehr gute.
Die vorderste Sitzbank von Notre-Dame vibrierte vor tapfer unterdrückter Aufregung. War das wirklich Mademoiselle Janvier, die da gekommen war, hatte sie es gewagt? Die Frauen blickten wieder starr nach vorn und machten gerade Rücken, als gelte ihre Aufmerksamkeit ausschließlich dem Sarg und dem Ewigen Licht über dem Hauptaltar; wir Männer aber, die wir unsere Frauen kannten, wussten, dass sie gespannt dem klackenden Stakkato der kleinen Schritte lauschten, die sich seitlich zum Mittelgang hin bewegten, dann rechtwinklig abbogen und ohne das geringste Zögern, ohne jedes Ritardando oder Accelerando mit dem regelmäßigen Taktschlag eines Metronoms nach vorne eilten. Dann konnte, wer zur Mitte schielte, in den Augenwinkeln die kleine Gestalt sehen, wie sie leichtfüßig wie ein junges Mädchen über den roten Teppich die zwei Stufen hinauf zum Fußende des Sargs lief, die rechte Hand auf die Sargwand legte und lautlosen Schrittes daran entlangfuhr bis zum Kopfteil, wo sie endlich stehen blieb und ein paar Sekunden in nahezu soldatisch strammer Haltung verharrte. Sie hob den Schleier über den Hut und beugte sich vor, breitete die Arme aus und legte sie auf die Sargwand, küsste meinen Großvater auf die Stirn und legte ihre Wange an sein wächsernes Haupt, als wollte sie eine Weile ruhen; dabei wandte sie ihr Gesicht nicht schützend dem Hauptaltar zu, sondern bot es uns offen dar. So konnten wir sehen, dass sie die Augen geschlossen hielt und dass ihr rot geschminkter Mund sich zu einem Lächeln verzog, das breit und immer breiter wurde, bis ihre Lippen sich zu einem lautlosen kleinen Lachen öffneten.
Schließlich löste sie sich vom Toten und kehrte in ihre aufrechte Haltung zurück, nahm die Handtasche aus der Armbeuge, öffnete sie und holte mit raschem Griff einen faustgroßen, runden, matt schimmernden Gegenstand hervor. Es war, wie wir wenig später feststellen sollten, eine alte Fahrradklingel mit halbkugelförmiger Glocke, deren Chromschicht von Haarrissen durchzogen und an einigen Stellen abgeblättert war. Sie verschloss die Handtasche und hängte sie zurück in ihre Armbeuge, und dann betätigte sie die Klingel zwei Mal. Rrii-Rring, Rrii-Rring. Während das Klingeln im Kirchenschiff widerhallte, legte sie die Klingel in den Sarg, drehte sich nach uns um und sah uns
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