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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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ihre zwei Männer, von denen der eine weinte und der andere zu ersticken drohte, an den Ohrläppchen hoch. »Du, Chéri, nimmst jetzt dein Laudanum und gehst zu Bett, ich komme gleich nach. Und du, Léon, gehst morgen früh zum Bürgermeister und meldest dich zum Arbeitsdienst. Wo dir doch die nationale Kriegswirtschaft so sehr am Herzen liegt.«
    Wie sich am nächsten Morgen herausstellte, konnte die nationale Kriegswirtschaft den Gymnasiasten Le Gall aus Cherbourg tatsächlich gebrauchen – aber nicht am Strand, wie er gehofft hatte. Der Bürgermeister drohte ihm im Gegenteil drei Monate Gefängnis an für den Fall, dass er sich noch einmal widerrechtlich Strandgut aneigne, und befragte ihn eingehend nach seinen anderweitigen kriegswirtschaftlich relevanten Kenntnissen und Fähigkeiten.
    Dabei erwies es sich, dass Léon zwar kräftig gebaut war, aber keinerlei Neigung zum Einsatz seiner Muskelkraft hatte. Er wollte kein Bauernknecht sein und auch kein Fließbandarbeiter, und den Handlanger für einen Schmied oder Zimmermann machen wollte er auch nicht. Ähnlich war’s mit seinen geistigen Kräften: Zwar war er nicht eigentlich dumm, aber am Gymnasium hatte er für kein Fach eine Vorliebe erkennen lassen und in keinem sonderlich dicke Stricke zerrissen, weshalb er auch für seine berufliche Zukunft keine festen Pläne oder Wünsche hatte. Natürlich wäre er gern im Dienst des Vaterlands mit seiner Segeljolle auf Spionagefahrt in die Nordsee gefahren und hätte gefälschte Reichsmark an der deutschen Küste in Umlauf gebracht, um die feindliche Währung zu destabilisieren; aber weil das keine realistische Berufsperspektive war, zuckte er nur mit den Schultern, als der Bürgermeister ihn nach seinen Plänen fragte. Das Interesse an der nationalen Kriegswirtschaft war ihm schon gänzlich abhandengekommen. Erschwerend kam hinzu, dass der Bürgermeister einen Hals wie ein Truthahn und eine rotblau geäderte Nase hatte. Wie die meisten jungen Leute hatte Léon ein starkes ästhetisches Empfinden und konnte sich nicht vorstellen, dass man einen Menschen mit so einem Hals und so einer Nase ernst nehmen konnte. Der Bürgermeister ging mürrisch die Liste der offenen Stellen durch, die der Kriegsminister ihm geschickt hatte.
    »Na, mal sehen. Ah, hier. Kannst du Traktor fahren?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Und hier – Lichtbogenschweißer gesucht. Kannst du schweißen?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Verstehe. Optische Linsen schleifen kannst du wohl auch nicht, wie?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Und Spulen für Elektromotoren wickeln? Eine Straßenbahn lenken? Pistolenläufe drehen?« Der Bürgermeister lachte ein wenig, die Sache begann ihm Spaß zu machen.
    »Nein, Monsieur.«
    »Bist du vielleicht Facharzt für innere Medizin? Experte für internationales Handelsrecht? Elektroingenieur? Tiefbauzeichner? Sattler oder Wagner?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Dachte ich mir. Von Ledergerberei und doppelter Buchhaltung verstehst du auch nichts, wie? Und Kisuaheli – sprichst du Kisuaheli? Kannst du stepptanzen? Morsen? Die Zugkraft von Hängebrückenstahlseilen berechnen?«
    »Jawohl, Monsieur.«
    »Wie … Kisuaheli? Hängebrückenstahlseile?«
    »Morsen, Monsieur. Ich kann morsen.«
    Tatsächlich hatte die Jugendzeitschrift Le Petit Inventeur, auf die Léon abonniert war, wenige Wochen zuvor das Morsealphabet abgedruckt, und Léon hatte es aus einer Laune heraus auswendig gelernt an einem regnerischen Sonntagnachmittag.
    »Stimmt das denn auch, Kleiner? Schwindelst du mich nicht an?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Dann wäre das doch etwas! Der Bahnhof von Saint-Luc-sur-Marne sucht einen Morseassistenten als Stellvertreter des ordentlichen Stelleninhabers. Frachtbriefe ausstellen, Ankunft und Abfahrt der Züge vermelden, aushilfsweise Fahrkarten verkaufen. Traust du dir das zu?«
    »Jawohl, Monsieur.«
    »Mindestalter sechzehn, männlich, Homosexuelle, Geschlechtskranke und Kommunisten unerwünscht. Du bist doch nicht etwa – Kommunist?«
    »Nein, Monsieur.«
    »Na, dann morse mir mal was. Morse mir, mal sehen, ah ja: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Na los, gleich hier auf dem Schreibtisch!«
    Léon hielt die Luft an, schaute kurz zur Decke hoch und begann mit dem Mittelfinger der rechten Hand zu trommeln. Kurz-kurz-lang, kurz-lang-kurz, kurz-kurz-kurz …
    »Das reicht«, sagte der Bürgermeister, der das Morsealphabet nicht beherrschte und außerstande war, Léons Fingerfertigkeit zu bewerten.
    »Ich kann morsen, Monsieur. Wo bitte

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