Leopard
ehrwürdigen Mauern des alten Kreisgefängnisses standen.
»Das ist der etwas diskretere Weg«, sagte Harry. »Ihr Gesicht ist ja langsam bekannt, und inzwischen sind bestimmt auch die ersten Kollegen im Präsidium aufgetaucht.«
»Apropos Gesicht, hat Ihnen jemand den Kieferknochen gebrochen?«
»Ich bin unglücklich gefallen.«
Leike schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich kenne mich ein bisschen mit gebrochenen Kiefern aus. So was kommt von einem Schlag, Sie haben den Bruch einfach heilen lassen. Sie sollten sich das machen lassen, das ist keine große Sache.«
»Danke für den Hinweis.«
»Haben Sie denen viel Geld geschuldet?«
»Kennen Sie sich auch damit aus?«
»Ja!«, sagte Leike mit Nachdruck und sah ihn mit großen Augen an. »Leider.«
»Hm. Eine letzte Sache noch, Leike …«
»Tony, oder Tony C.« Leike zeigte ihm seine glänzenden Kauwerkzeuge. Er schien sich um nichts Sorgen zu machen, dachte Harry. »Tony. Waren Sie jemals am Lyseren? Dem See im 0st…«
»Klar doch!«, sagte Tony mit einem Lachen. »Der Leike-Hof liegt in Rustad. Ich war jeden Sommer dort bei meinem Großvater. Später habe ich da auch ein paar Jahre gewohnt. Ein phantastischer Ort, nicht wahr? Aber warum fragen Sie?«
Sein Lächeln verlosch abrupt. »Ach, verdammt, da haben Sie ja dieses Mädchen gefunden. So ein Zufall.«
»Tja«, sagte Harry. »So unwahrscheinlich ist das vielleicht nicht. Der See ist ja groß.«
»Stimmt. Aber noch mal danke, Harry.« Leike reichte ihm die Hand. »Und rufen Sie mich an, sollten noch Namen von der Hävasshütte auftauchen, oder falls sich jemand meldet, vielleicht kommt meine Erinnerung dann ja wieder. Volle Zusammenarbeit, Harry.«
Harry sah sich selbst die Hand des Mannes schütteln, der, wie er soeben entschieden hatte, im Laufe der letzten drei Monate fünf Menschen umgebracht hatte.
Fünfzehn Minuten nach Leikes Aufbruch rief Katrine Bratt an.
»Ja?«
»Negativ, bei vieren von fünf«, sagte sie. »Und beim Fünften?«
»Treffer, in den tiefsten Tiefen der Digitalinformation.«
»Wie poetisch.«
»Es wird dir gefallen. Am 16. Februar wurde Elias Skog von einer nicht registrierten Nummer angerufen. Also eine geheime Telefonnummer. Und das mag wohl der Grund dafür sein, dass ihr …«
»Die Polizei in Stavanger.«
»… diesen Zusammenhang bis jetzt nicht entdeckt habt. Aber in den tiefsten Tiefen der digitalen Welt …«
»Das heißt im streng geheimen Nummernregister von Telenor?«
»So in etwa. Dort tauchte der Name Tony Leike, Holmenveien 172, als Rechnungsempfänger für diese Geheimnummer auf.«
»Jawoll!«, rief Harry. »Du bist ein Engel.«
»Hast du keine bessere Metapher. Das hört sich nämlich an, als hätte ich gerade jemanden lebenslänglich hinter Gitter gebracht.«
»Das bereden wir später noch mal.«
»Warte! Willst du nichts über Jussi Kolkka wissen?«
»Das hatte ich ganz vergessen. Schieß los.« Sie schoss.
KAPITEL 40
Das Angebot
H arry fand Kaja im Dezernat für Gewaltverbrechen, in der grünen Zone der sechsten Etage. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie Harry in der Türöffnung entdeckte.
»Immer eine offene Tür?«, fragte er.
»Immer. Und du?«
»Geschlossen. Immer. Wie ich sehe, hast du den Besucherstuhl rausgeworfen. Das habe ich auch immer gemacht. Die Leute bleiben sonst nur kleben.« Sie lachte. »Was Spannendes zu tun bekommen?«
»Sozusagen«, sagte er, trat ein und lehnte sich gegen die Wand.
Sie legte beide Hände gegen die Tischkante und stieß sich ab, worauf sie und der Stuhl rückwärts auf den Aktenschrank zurollten. Sie zog eine Schublade auf, nahm einen Brief heraus und legte ihn vor Harry. »Dachte, das könnte dich interessieren.«
»Was ist das?«
»Vom Schneemann. Sein Anwalt hat beantragt, dass er aus gesundheitlichen Gründen von Ullersmo in ein gewöhnliches Krankenhaus verlegt wird.«
Er setzte sich auf die äußere Tischkante und las. »Hm. Sklerodermie. Schnell voranschreitend. Ich hoffe, nicht zu schnell. Das hätte er nicht verdient.«
Er hob den Kopf und sah, dass sie erschüttert war.
»Meine Großtante ist an Sklerodermie gestorben«, sagte sie. »Eine grausame Krankheit.«
»Und ein grausamer Mann«, sagte Harry. »Ich bin übrigens mit denen einer Meinung, die sagen, dass die Fähigkeit zur Vergebung etwas über die Qualität eines Menschen aussagt. Ich bin dritte Wahl.«
»Ich wollte dich nicht kritisieren.«
»In meinem nächsten Leben werde ich mich bessern, versprochen«, sagte Harry,
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