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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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neigte den Kopf vor und massierte sich den Nacken. »Wenn die Hindus recht haben, werde ich wahrscheinlich als Borkenkäfer wiedergeboren. Aber ich will ein freundlicher Borkenkäfer sein.«
    Er schaute hoch und stellte fest, dass sein »verdammt jungenhafter Charme«, wie Rakel das immer genannt hatte, einigermaßen wirkte. »Hör mal, Kaja, ich wollte dir ein Angebot machen.«
    »Aha.«
    »Ja.« Harry fiel die Feierlichkeit in seiner Stimme auf. Die Stimme eines rücksichtslosen Mannes ohne jede Fähigkeit zur Vergebung, der sich um nichts anderes kümmerte als um seine eigenen Ziele.
    Wie schon häufig mit Erfolg praktiziert, begann er seine Argumentation von hinten. »Ein Angebot, das ich an deiner Stelle wohlweislich ablehnen würde. Ich habe nämlich die Angewohnheit, das Leben der Menschen zu zerstören, auf die ich mich einlasse.«
    Zu seinem Erstaunen wurde sie knallrot.
    »Aber es kommt mir nicht richtig vor, das hier ohne dich durchzuziehen«, sprach er weiter. »Nicht, wo wir so nah dran sind.«
    »Nah … an was?« Die Röte war verschwunden.
    »An der Verhaftung des Schuldigen. Ich bin auf dem Weg zum Polizeijuristen, um einen Haftbefehl zu besorgen.«
    »Oh … klar.«
    »Klar?«
    »Ich meine, wer soll verhaftet werden?« Sie zog den Stuhl wieder an den Schreibtisch. »Und wofür?«
    »Unser Mörder, Kaja.«
    »Was?« Er sah, wie ihre Pupillen sich weiteten, langsam, pulsierend. Und wusste, was in ihr vorging. Der Blutrausch vor dem Erlegen der Beute. Die Festnahme. Das, was in ihrem CV stehen würde. Wie konnte sie da widerstehen?
    Harry nickte. »Er heißt Tony Leike.«
    Ihre Wangen nahmen wieder Farbe an. »Klingt bekannt.«
    »Er will demnächst heiraten, die Tochter von …«
    »Ach ja, der Verlobte von Galtungs Tochter.« Sie legte die Stirn in Falten. »Heißt das, du hast Beweise?«
    »Indizien. Und Übereinstimmungen.« Ihre Pupillen zogen sich ein wenig zusammen. »Ich bin sicher, das ist unser Mann, Kaja.«
    »Überzeuge mich«, sagte sie, und er hörte den Hunger in ihrer Stimme. Die Lust, alles roh zu verschlingen, den letzten Anstoß zu bekommen, die bisher verrückteste Entscheidung ihres Lebens zu treffen. Und er hatte nicht die Absicht, sie vor sich selbst zu schützen. Weil er sie brauchte. Sie war perfekt für die Medien: jung, intelligent, eine Frau, ambitioniert. Ein sympathisches Gesicht und eine
einwandfreie Personalakte.
Kurz und gut, sie hatte alles, was er nicht hatte. Eine Jeanne d'Arc, die das Justizministerium nicht auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde.
    Harry holte tief Luft und gab ihr das Gespräch mit Tony Leike wieder. Wortgetreu und bis ins kleinste Detail. Seine Kollegen hatten diese Fähigkeit immer mit Skepsis betrachtet.
    »Hävasshütte, Kongo und Lyseren«, sagte Kaja, als er fertig war. »Er ist überall gewesen.«
    »Ja. Und er wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt und gibt zu, dass er den anderen eigentlich umbringen wollte.«
    Ihre Pupillen waren schwarze Sonnen.
    »Wir haben ihn«, sagte sie leise.
    »Bedeutet das
wir,
was ich denke?«
    »Ja.«
    Harry seufzte. »Du bist dir über das Risiko im Klaren, wenn du mitmachst? Selbst wenn ich mit Leike recht haben sollte, bedeutet das noch lange nicht, dass seine Festnahme und die Aufklärung des Falls ausreichen, um die Machtbalance zugunsten Hagens anzutippen. Und dann stehst du im Regen.«
    »Und was ist mit dir?« Sie beugte sich über den Tisch. Ihre kleinen Piranhazähne glitzerten. »Wieso gehst du dieses Risiko ein?«
    »Ich bin ein abgehalfterter Polizist, der nicht viel zu verlieren hat, Kaja. Für mich geht es um alles oder nichts. Bei den Drogen und der Sitte kann ich nicht arbeiten, und ein Angebot vom Kriminalamt werde ich nicht bekommen. Was dich betrifft, ist es aber wahrscheinlich eine schlechte Entscheidung.«
    »Das sind meine Entscheidungen in der Regel«, sagte sie ernst.
    »Gut«, sagte Harry und stand auf. »Dann sehe ich mal zu, dass ich den Polizeijuristen zu fassen kriege. Halt dich bereit.«
    »Ich bin hier, Harry.«
    Als Harry sich umdrehte, befand er sich Auge in Auge mit einem Mann, der offenbar schon eine ganze Weile in der Tür gestanden hatte.
    »'tschuldigung«, sagte der Mann mit einem breiten Grinsen. »Ich wollte nur schauen, ob ich die Dame vielleicht kurz entführen kann.«
    Er nickte Kaja mit lachenden Augen zu.
    »Bitte schön«, sagte Harry, bedachte den Mann mit der verkürzten Version eines Lächelns und marschierte über den Flur davon.
    »Aslak

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