Leopard
und beim Essen die Namen derjenigen studiert, die sich am Abend zuvor eingetragen hatten.«
»Warum?«
»Warum schon?« Tony zuckte mit den Schultern. »Es sind oft die gleichen Leute, die von Hütte zu Hütte wandern. Ich wollte nachsehen, ob Bekannte darunter waren.«
»Und, war jemand dabei?«
»Nein, aber wenn Sie mir die Namen derjenigen nennen, von denen Sie wissen oder glauben, dass sie da waren, kann ich mich vielleicht an die Unterschriften im Gästebuch erinnern.«
»Klingt logisch, aber wir haben leider weder Namen noch Adressen.«
»Na dann«, sagte Leike und begann seinen Wollmantel zuzuknöpfen. »Dann, fürchte ich, kann ich Ihnen keine große Hilfe sein. Abgesehen davon, dass Sie mich auf Ihrer Liste abhaken können.«
»Hm«, sagte Harry. »Wo Sie schon einmal da sind, würde ich Ihnen gerne noch ein paar weitere Fragen stellen. Haben Sie noch einen Augenblick Zeit?«
»Ich bin mein eigener Herr«, sagte Leike. »Bis jetzt noch, auf jeden Fall.«
»Gut. Sie haben gesagt, in Ihrer Vergangenheit gäbe es ein paar dunkle Flecken. Können Sie mir kurz sagen, was Sie damit meinen?«
»Ich hab mal versucht, jemanden umzubringen«, sagte Leike freiheraus.
»Oh«, sagte Harry und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Warum das denn?«
»Weil er mich angegriffen hat. Er hat behauptet, ich hätte ihm die Frau weggeschnappt. In Wahrheit ist sie niemals seine Freundin gewesen und wollte das auch gar nicht sein. Außerdem schnappe ich niemandem die Freundin weg. Das habe ich nicht nötig.«
»Hm. Hat er Sie auf frischer Tat ertappt und dann die Frau geschlagen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich versuche mir nur vorzustellen, was vorgefallen sein muss, dass Sie ihn töten wollten. Vorausgesetzt, Sie meinen das wirklich so.«
»Er hat
mich
geschlagen. Und deshalb habe ich mein Bestes getan, ihn zu töten. Mit einem Messer. Ich hätte es auch geschafft, wenn mich nicht ein paar meiner Kumpels von ihm weggezerrt hätten. Ich wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Für einen Mordversuch bin ich da noch ganz gut weggekommen.«
»Sind Sie sich im Klaren darüber, dass Sie sich mit einer solchen Aussage zum Mordverdächtigen machen?«
»In
diesem
Fall jetzt?« Leike sah Harry misstrauisch an. »Sie machen Witze? Sie sind doch wohl hoffentlich ein bisschen weiter, oder?«
»Wenn Sie einmal bereit waren zu töten …«
»Ich war mehrmals bereit zu töten. Vermutlich habe ich das auch …«
»Vermutlich?«
»Es ist nicht so leicht, nachts im Dschungel kohlrabenschwarze Neger zu erkennen. Da schießt man einfach drauflos.«
»Und das haben Sie getan?«
»In meiner sündigen Jugend, ja. Nachdem ich meine Strafe abgesessen hatte, habe ich eine Ausbildung beim Militär gemacht und bin dann nach Südafrika gegangen, wo ich einen Job als Söldner angenommen habe.«
»Sie waren als Söldner in Südafrika?«
»Drei Jahre lang. Aber in Südafrika wurde ich bloß angeworben. Die Kämpfe fanden in den umliegenden Ländern statt. Irgendwo gab es immer irgendeinen Krieg, immer einen Markt für Profis, insbesondere für Weiße. Die Schwarzen halten uns noch immer für klüger, verstehen Sie, sie vertrauen weißen Offizieren mehr als ihren eigenen Leuten.«
»Waren Sie dann vielleicht auch im Kongo?«
Tony Leikes rechte Augenbraue schob sich hoch: »Wieso?«
»Interessiert mich einfach. Ich war selbst vor einer Weile dort.«
»Das hieß damals noch Zaire. Die meiste Zeit waren wir uns aber verdammt unsicher, in welchem Land wir uns gerade befanden. Es war alles nur grün, grün und schwarz, bis die Sonne wieder aufging. Ich habe damals für eine sogenannte Wachgesellschaft in einer Diamantengrube gearbeitet. In der Zeit habe ich gelernt, im Licht einer Stirnlampe Karte und Kompass zu lesen. Wobei Sie den Kompass in der Gegend vergessen können, da ist viel zu viel Metall im Gestein.«
Tony Leike lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Entspannt und unerschrocken, notierte sich Harry im Geiste.
»Apropos Metall«, sagte Harry. »Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie jetzt da unten Gruben betreiben?«
»Richtig.«
»Um was für ein Metall geht es dabei?«
»Haben Sie schon mal was von Koltan gehört?«
Harry nickte langsam. »Braucht man für Handys.«
»Genau. Und für Spielekonsolen. Als die Handyproduktion in den Neunzigern so richtig zu boomen begann, war ich mit meiner Truppe in einem Auftrag nordöstlich des Kongos unterwegs. Ein paar Franzosen betrieben da gemeinsam mit einigen
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